Vortrag von Matthias Küntzel in Leeds abgesagt von philipp lenhard
Einige Studenten der Universität Leeds hatten sich schon gefreut. Weil an britischen Hochschulen linke Kritik am Islamismus sowie kritische Stimmen zum Nahost-Konflikt kaum zu vernehmen sind, hatten die Studenten gemeinsam mit dem germanistischen Institut der Universität einen Vortrag zum Thema »Islamischer Antisemitismus« organisiert. Mitte voriger Woche sollte Matthias Küntzel seinen zuletzt in Yale gehaltenen Vortrag über die islamische Kollaboration mit den Nazis und die Entstehung eines modernen Antisemitismus im Nahen Osten in Leeds wiederholen.
Es kam jedoch nicht dazu. Seitdem die Veranstaltung auf der Website der Hochschule beworben wurde, erreichten mehrere Protestmails den Vizepräsidenten der Universität, das Telefon stand nicht mehr still. Empörte muslimische Studenten machten ihrem Ärger darüber Luft, dass der Islam überhaupt mit Antisemitismus in Verbindung gebracht wird. »Als Moslem und Araber«, schrieb ein Student, habe ihm die Ankündigung des Vortrags einen »Schock« versetzt. Ihn beunruhigte die Kritik des Antisemitismus, die einer »offenen rassistischen Attacke« auf den Islam gleichkomme.
Als die Universitätsleitung wegen der Proteste begann, eine Absage des Vortrags in Erwägung zu ziehen, boten die Veranstalter an, den Titel zu entschärfen. Statt von »islamischem Antisemitismus« sollte nun nur noch von einem »Export« des Antisemitismus in den Nahen Osten die Rede sein. Doch auch dieses Zugeständnis half nicht weiter, die Universitätsleitung sagte die Veranstaltung aus »Sicherheitsgründen« ab.
Matthias Küntzel sagte daraufhin der Times: »Es ist ein sehr kontroverses Thema, aber ich bin es gewöhnt zu diskutieren. Ich schätze die Unversehrtheit der akademischen Debatte und ich habe das Gefühl, dass diese hier wirklich in Gefahr ist. Wir haben es mit einem sehr wichtigen Thema zu tun, und wenn man es nicht in Räumlichkeiten der Universität ansprechen kann, wozu ist dann eine Universität überhaupt gut?« Annette Seidel-Arpaci und Morten Hunke, die die Veranstaltung mitorganisiert haben, pflichteten ihm bei: »Es handelt sich um einen akademischen Vortrag eines Wissenschaftlers, es ist keine politische Demonstration. Die plötzliche Absage ist ein Ausverkauf der Freiheit der Wissenschaft, speziell der Meinungsfreiheit, an der Universität Leeds.«
Ahmed Sawalem hingegen, der Präsident der islamischen Studentenvereinigung, betont zwar, keine Absage der Veranstaltung gefordert, sondern bloß eine Beschwerde eingereicht zu haben, meint aber, dass der »Titel des Vortrags provokativ« und die im Internet zugänglichen Texte Küntzels »nicht besonders freundlich« seien.
Die Debatte um die Absage der Veranstaltung dreht sich also, wie auch in Deutschland nach dem so genannten Karikaturenstreit, um die Frage, wie weit Meinungsfreiheit gehen darf. Den Protestierenden ist es somit immerhin gelungen, die Kritik des Antisemitismus von der Tagesordnung zu nehmen. Statt über islamische Judenfeindschaft wird nun über »Zensur« und das Recht auf Meinungsfreiheit geredet, ganz so, als habe dessen Beschränkung nicht schon immer zum Wesen des Rechts gehört. Wie weit die Meinungsfreiheit gehen darf, richtet sich danach, was politisch erwünscht ist. Erwünscht ist eine Kritik des islamischen Antisemitismus derzeit offenbar nicht.
jungle world
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