Sunday, May 23, 2010

„Jüdischer Folklorist“ oder was ist ein antisemitisches Ressentiment? Antisemitismus und deutsche Medien – Teil 1: Der Tagesspiegel

Von Dr. phil. Clemens Heni, New Haven (USA)/Berlin (Germany)
Rückblickend werden sich einmal Leute verwundert an den Kopf fassen und denken:
Wie konnte es zu so einer Wahrnehmungsstörung und so einem Realitätsverlust kommen, dass nicht Antisemitismus als Gefahr erkannt, vielmehr die Kritik am Antisemitismus als „Antisemitismusvorwurf“ oder als „Antisemitenentlarverei“ abgewehrt wurde?
In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2010 legen antisemitische Brandstifter Feuer an der Synagoge in Worms. Es ist eine nach 1945 wieder aufgebaute Synagoge, die alte wurde in der Reichspogromnacht 1938 am 9. November von nationalsozialistischen Deutschen abgebrannt. Heute mögen die Täter durchaus aus dem Milieu islamistischer oder arabischer Extremisten kommen, denn es wurde an acht Stellen Feuer gelegt und jeweils ein Flugblatt hinterlegt, welches offenbar in schlechtem Deutsch einen Bezug des israelisch-palästinensischen Konflikts zu Juden in Deutschland herstellt. Mainstream-Medien verbuchten diesen antisemitischen Anschlag sogleich unter der Kategorie „Rechtsextremismus“. Das ist ein Vorurteil.
Kaum mehr als einen Tag später, am 18. Mai vormittags, publizierte der Tagesspiegel aus Berlin, eine der bekannten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland, einen Kommentar ihres Redakteurs Malte Lehming mit dem Titel „ein jüdischer Folklorist“[i], womit der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland Stephan Kramer gemeint war.
Lehming beginnt seinen Text mit einem antisemitischen Witz, in welchem ein Jude, der unter Balbuties[ii] – gemeinhin unter „stottern“ bekannt – leidet, einen Job als Radiomoderator nicht bekommt. Er suggeriert, dass Antisemitismus meistens von Leuten vorgeworfen werden würde, welche stottern und sich benachteiligt fühlen, obwohl sie dabei doch selbst schuld seien. Es würde also „Antisemitismus“ geschrien, wo doch ein ‚eigenes Versagen‘ vorliegen würde. Das ist der Tenor.
Mehr...

No comments: