Die Verfolgung der Yezidis im Irak
Hilfsbereitschaft kann im Irak lebensgefährlich sein, nicht nur für die Helfer selbst. Zwei Yezidis, Angehörige einer nicht islamischen Minderheit, nahmen in der nordirakischen Stadt Shaikhan in ihrem Auto eine muslimische Frau mit, die vor ihrem prügelnden Ehemann flüchtete. Die beiden jungen Männer brachten sie in eine Kaserne, wo sie sie in Sicherheit glaubten.Dort wurde aber nur ein Protokoll aufgenommen und die Frau anschließend Familienangehörigen übergeben, die ihre Flucht als »Schande« empfanden.
Inzwischen hatten sich männliche Angehörige ihres Stammes, der Muzuriyian, vor der Kaserne und der Kreisverwaltung versammelt, in der die beiden Yezidi sich aufhielten. Dort verlangten sie deren Auslieferung, ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten mit der Frau ein sexuelles Verhältnis unterhalten. Aus Sicht vieler Muslime muss eine solche Beziehung mit dem Tod bestraft werden, da eine muslimische Frau unter keinen Umständen eine Ehe oder Beziehung mit einem nicht muslimischen Mann eingehen darf. Und schon gar nicht mit den als »Teufelsanbetern« denunzierten Yezidis.
Kaum war die Frau ihren Angehörigen übergeben worden, wurde sie, wie die kurdische Zeitung Azadiya Welat berichtete, von ihren Familienangehörigen durch Enthauptung ermordet. Die Stammesnotablen verlangten jedoch weiterhin auch die Auslieferung der beiden Yezidis und drohten, auch diese zu ermorden. Als sich die lokalen Behörden weigerten, die beiden Männer auszuliefern, und erklärten, diese stünden unter dem Schutz der irakischen Verfassung, wurde auch der Landrat bedroht, der sich schließlich nicht anders zu helfen wusste, als mit den beiden Yezidis in das örtliche Büro der regierenden Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) zu flüchten.
Nachdem der Mob von Peshmerga, Milizionären der KDP, vor dem Parteibüro gestoppt worden war, setzte sich die wütende Menge in Richtung des Sitzes des Oberhaupts der Yezidis, des seit 1944 amtierenden Mir Said Eli Tahsin Beg, in Bewegung. Zwar konnten die Peshmerga den direkten Angriff auf den Sitz des Yezidi-Oberhaupts verhindern, allerdings wurden die vor dem Haus stehenden Autos angezündet. Schließlich wurde das Yezidi-Kulturzentrum »Lalish« völlig verwüstet und niedergebrannt. Dasselbe geschah mit den Häusern der beiden Yezidis, die die muslimische Frau in ihrem Auto mitgenommen hatten. In der Kleinstadt wurden Geschäfte geplündert und in Brand gesetzt, die Yezidis gehören, auch das Grab des Yezidi-Geistlichen Shahid Hüseyin Bave Sheikh wurde verwüstet.
Viele Yezidis flüchteten nach dem Pogrom im Februar aus Sheikhan, andere wagten es nicht mehr, ihre Häuser zu verlassen. Bisher wurden über 80 mutmaßlich Beteiligte verhört und etwa 20 verhaftet. Mir Said Eli Tahsin Beg hat nach Angaben kurdischer Zeitungen die Yezidis zur Ruhe aufgerufen und erklärt, man wolle eine rechtsstaatliche Untersuchung der Ereignisse.
Im Norden des Landes, der von den kurdischen Parteien KDP und Puk dominierten ehemaligen Autonomieregion, ist eine solche Untersuchung immerhin möglich, dennoch wurden Yezidis in den vergangenen Jahren insbesondere in Mossul immer wieder zum Angriffsziel von Islamisten. In vielen Gebieten des Irak ist für Nichtmuslime die Flucht zumeist der einzige Ausweg. Ein Ende Februar veröffentlichter Bericht der in London ansässigen Menschenrechtsgruppe Minority Rights Group International stellt fest, dass Minderheiten verstärkt Opfer »von Angriffen, Entführungen und Drohungen von allen Seiten« werden.
thomas schmidinger
jungle world
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