Rechtzeitig vor der »Woche der Brüderlichkeit« taten sich deutsche Bischöfe auf einer Nahost-Reise mit zweifelhaften NS-Vergleichen hervor. von stefan wirner
Es gehe den Preisträgern darum, »die Geschichten hinter den Bildern, die um die Welt gehen, aufzudecken und die komplexe Wahrheit zu enthüllen«. Mit diesen Worten begründete der Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit die Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an die Journalisten Esther Schapira und Georg Hafner vom Hessischen Rundfunk. Sie wurden für ihr Engagement zu den Themen Rechtsextremismus, Antisemitismus, deutsche Vergangenheit und Nahost-Konflikt gewürdigt.
Die Preisverleihung fand am Sonntag während der Eröffnungsfeier der »Woche der Brüderlichkeit« in Mannheim statt. Seit dem Jahr 1952 organisieren die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit jedes Jahr im März diese bundesweite Veranstaltungsreihe. In diesem Jahr lautet das Motto: »Redet Wahrheit!« Die Gesellschaften setzen sich, wie es in der Selbstdarstellung heißt, für die »Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden« ein, für die »Selbstbesinnung in den christlichen Kirchen hinsichtlich der in ihnen theologisch begründeten und geschichtlich verbreiteten Judenverachtung und Judenfeindschaft« und für die »Solidarität mit dem Staat Israel als jüdischer Heimstatt«.
In diesem Jahr aber ging der »Woche der Brüderlichkeit« eine Woche der Unbrüderlichkeit voraus, und mit dem Reden von Wahrheit und der Solidarität mit Israel ist es unter Christen nach wie vor so eine Sache. 27 Bischöfe, allesamt Mitglieder des Ständigen Rats der Deutschen Bischofskonferenz, reisten in der vorletzten Woche nach Israel und in die palästinensischen Gebiete. In Jerusalem besuchten sie die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, anschließend fuhren sie nach Ramallah ins Westjordanland. Auf ihrer Reise sahen sie etwas, was manche unter ihnen extrem aufwühlte: die von Israel errichtete Trennmauer zwischen Israel und dem Westjordanland.
Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke sagte nach Angaben der Süddeutschen Zeitung: »Morgens in Yad Vashem die Fotos vom unmenschlichen Warschauer Ghetto, abends fahren wir ins Ghetto in Ramallah. Da geht einem doch der Deckel hoch.« Auch der Augsburger Bischof Walter Mixa, jüngst bekannt geworden mit seinem Vorwurf, Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) degradiere Frauen zu »Gebärmaschinen«, sprach von einer »ghettoartigen Situation« und meinte, dass das Vorgehen der Israelis »fast schon Rassismus« sei. Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hingegen fühlte sich an die Berliner Mauer erinnert. Außerdem soll er gesagt haben, so etwas tue man Tieren an, aber nicht Menschen. Das dementierte er später jedoch.
Wie so oft war es vor allem Vertretern jüdischer Institutionen vorbehalten, Kritik an dieser Art von Israel-Kritik zu üben. Der Leiter von Yad Vashem, Avner Schalev, schrieb in einem Brief an die Bischöfe: »Die Bemerkungen zeigen eine traurige Unkenntnis der Geschichte und eine verzerrte Perspektive. Die Handlungen Israels haben keine Ähnlichkeit mit denen der Nazis.« Der stellvertretende Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, bescheinigte dem Vergleich mit dem Warschauer Ghetto einen »antisemitischen Charakter«. Einen anderen Aspekt hob Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, hervor. Er erinnerte daran, dass Israel das einzige Land im Nahen Osten sei, in dem die christliche Minderheit wachse. Es wäre die Pflicht der Bischöfe gewesen, »auf die Bedrohung ihrer Glaubensbrüder durch gewaltbereite Islamisten hinzuweisen«.
Hans Langendörfer, der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, wies die Vorwürfe zurück und betonte, der Besuch der Bischöfe sei »durchgängig von einer hohen Sensibilität für die Belange beider Konfliktparteien« bestimmt gewesen. Hohe Sensibilität? »Unter dem Eindruck der bedrückenden Situation« seien aber aus der »emotionalen Betroffenheit Einzelner heraus einige wenige sehr persönliche Bemerkungen gefallen«, die aber »selbstkritisch richtig gestellt« worden seien. Er bedauere den »Missklang«.
Wie weit die Selbstkritik der Bischöfe geht, ist am Ende nicht offenkundig geworden. Bei genauerer Betrachtung stellt sich die Frage, was die Bekenntnisse zum Existenzrecht Israels, die die Bischöfe ausgiebig ablegten, wert sind, wenn im selben Atemzug das Verhalten der Israelis mit dem der Nationalsozialisten verglichen wird. Wie bedroht muss dieser Staat eigentlich sein, wenn ihm ständig das »Existenzrecht« bescheinigt werden muss? Vom Existenzrecht Deutschlands ist jedenfalls nie die Rede. Nach wie vor scheint es Deutschen, egal welcher politischer Überzeugung, nicht möglich zu sein, Israel, wenn es schon sein muss, mit angebrachten Worten zu kritisieren. Auffällig ist, dass die Vergleiche mit dem Nationalsozialismus besonders gerne gezogen werden, wenn es um die israelische Politik geht. Im Jahr 2003 fühlte sich bereits der Leiter des deutschen Orientinstituts, Udo Steinbach, angesichts der Zustände in den palästinensischen Gebieten an das Warschauer Ghetto erinnert. Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) warf der israelischen Armee während der zweiten Intifada vor, einen »hemmungslosen Vernichtungskrieg« zu führen. Der GMF-Survey 2005 des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung zeigte, dass jeder zweite Deutsche NS-Vergleiche nutze, wenn er die Politik Israels kritisieren will. Woran liegt das? Handelt es sich schlicht um den Versuch, sich selbst zu entlasten, indem man die Schuld umkehrt und den Nachfahren der Opfer bescheinigt, sie handelten wie ehedem die Nazis?
Auch den deutschen Katholiken fällt der Umgang mit der Vergangenheit nach wie vor schwer. Als Daniel Noah Goldhagen vor ein paar Jahren sein Buch »Die katholische Kirche und der Holocaust« veröffentlichte, wurde er heftig für seine Behauptung, die Kirche trage eine Mitschuld am Holocaust, kritisiert und angefeindet. Hans Joachim Meyer, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sagte in einer Rede in Berlin im Jahr 2002 über ihn: »Seine Redeweise ist ständig beschuldigend und verdächtigend. Seine Fragen enthalten bereits seine Antworten. Er scheut selbst vor den ungeheuerlichsten Unterstellungen nicht zurück.« Goldhagen betreibe »Agitation«.
Alles in allem aber ergibt das Verhältnis von Katholiken und Juden in Deutschland kein eindeutiges Bild. In den Christlich-Jüdischen Gesellschaften arbeiten viele Katholiken an dem mit, was man gerne »Aussöhnung« nennt, und sie meinen es ernst. Bei vielen ist dabei ein Verständnis für die Probleme Israels gewachsen, das weit über das hinausgeht, was die Bischöfe auf ihrer Reise an den Tag legten.
Wie tief das Verständnis auf offizieller katholischer Seite inzwischen reicht, dürfte die Reise von Papst Benedikt XVI. nach Israel zeigen, die noch in diesem Jahr stattfinden soll. Er wolle in Jerusalem beten und auch die palästinensischen Gebiete besuchen, teilte der Vatikan mit. Walter Brandmüller, der Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft in Rom, sagte im Deutschlandradio zu den Vorwürfen gegen die deutschen Bischöfe, man könne nicht in Yad Vashem erschüttert sein und dann in Ramallah zur Tagesordnung übergehen. Das Warschauer Ghetto sei »leider nicht mehr ungeschehen zu machen, aber Ramallah könnte wohl geändert werden«. So einfach ist das.
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