Urheberrechte gelten siebzig Jahre. Auch für NS-Verbrecher. Dass Goebbels’ Erben bis heute Tantiemen kassieren, verdanken sie dem Schweizer Nazi François Genoud. Er wirkte auch als Bankier der PLO und Strippenzieher des Linksterrorismus, wie eine glänzende Biografie belegt. Von Peter Keller
Auch ein Nazi kann sich selber treu bleiben. «Ich rauche nicht, ich trinke nicht, und ich esse kein Fleisch, wie mein Chef.» Sein Statement pflegte François Genoud jeweils mit einem Hitlergruss zu unterstreichen. Bis zum Tod 1996. Wie sein Idol vergiftete er sich ganz am Ende – mit freundlicher Unterstützung der Sterbehilfeorganisation Exit.
1915 in Lausanne als Sohn eines Tapetenunternehmers geboren, widerfuhr Genoud als 17-Jähriger seine Erweckung: In Bad Godesberg traf er auf Hitler. Das war kurz vor der Machtergreifung. «Wir werden zusammen mit eurer Generation ein brüderliches Europa aufbauen», habe der Führer ihm versprochen. Daraus wurde nichts. Hitlers Truppen legten den Kontinent in Schutt und Asche. Doch Genoud blieb ein glühender Nationalsozialist. Mehr noch: Er fühlte sich nach dem Krieg erst recht verpflichtet, das Andenken jener Ober-nazis zu wahren, die er als «Mann des Friedens» (Adolf Hitler) und «Helden» (Martin Bormann) gewürdigt sehen wollte.
Genoud agierte aus der dritten Reihe. Sein Biograf Willi Winkler nennt ihn einen «Schattenmann». Er wirkt in den Hinterhöfen der Geschichte. Im zertrümmerten Europa beweist sich der Romand als Nazi-Witwentröster, hilft mit, frühere NS-Grössen nach Südamerika zu schleusen, und entdeckt schliesslich die wichtigste Marktlücke seines Lebens: Das Dritte Reich hatte eine Menge Altpapier hinterlassen – und ein Publikum, das begierig auf die Schriften Hitlers und Co. wartete.
Bereits 1948 gelingt es ihm, mit dem Vormund von Bormanns Waisen anzubandeln. Martin Bormann war für Hitler so etwas wie Eckermann für Goethe: ein treuer Privatsekretär und fleissiger Chronist seines Herrn. Er hinterliess Tausende Seiten mit Aufzeichnungen, Briefen und eine Schar Kinder ohne finanzielle Sicherheiten. Genoud nutzte deren Notlage, um sich in den Besitz der Papiere zu bringen. Sein Gesellenstück als Verleger.
Er war kein Jurist und schon gar kein Freund der neuen Nachkriegsdemokratien, aber Genoud nutzte deren Rechtsgrundsätze für sich und seine geliebten Schergen – mit Hilfe einer winzigen Gesetzeslücke: des Autorenrechts. «Das Recht des Autors stellt ein unantastbares moralisches Recht dar, das zu Lebzeiten nicht abgetreten werden kann.» Und wer könnte dieses «unantastbare moralische Recht» besser wahrnehmen als dieser stets etwas bieder wirkende «freischaffende Nazi» (Willi Winkler)?
Bormanns Nachlass ist erst das Vorspiel. Weit prickelnder wären die Schriften des Vielschreibers Joseph Goebbels’ und des Meisters selbst. Da ist ja noch seine leibliche Schwester Paula, die Hitler der Öffentlichkeit konsequent vorenthalten hatte. Sie lebt und ist die legitime und nächste Erbin. Genoud will Tischgespräche und Zeichnungen «im Sinne des verstorbenen Bruders» veröffentlichen. 1960 wird Paula Hitler tatsächlich der Erbschein ausgestellt. Weil die Schwester stirbt, bevor sie den Nachlass nutzen kann, bleibt der Bundesrepublik Deutschland eine Menge Peinlichkeiten erspart.
Nazis und PLO als Herzensangelegenheit
Erfolgreicher agiert Genoud im Falle des Propagandaministers. Mit ihm ist tüchtig Geld zu verdienen. Laut Spiegel seien allein mit den 1948 veröffentlichten Tagebuch-Auszügen 1,5 Millionen Mark gelöst worden. 1955 gelingt es dem Schweizer, sich sämtliche Verwertungsrechte am literarischen Nachlass des Dr. Joseph Goebbels zu sichern. Die Kasse beginnt zu klingeln. Das deutsche Magazin Stern zahlt 1977 für das Recht, aus den Tagebüchern einen Vorabdruck zu bringen, 131 875 DM. In den vier Jahren nach Erscheinen kommen für Genoud insgesamt DM 683 784.44 zusammen. Nach Abzug aller Unkosten geht die Hälfte des Ertrages an die Erben Goebbels’. Es lohnt sich, einen schreibfreudigen NS-Mann in der Familie zu haben. Ob Frisch, Dürrenmatt oder NS-Verbrecher: Urheberrechte gelten siebzig Jahre. An der neuen Goebbels-Biografie von Peter Longerich sind die Tantiemenjäger sogar umsatzbeteiligt.
Das Bewirtschaften der Nazi-Legenden war Genoud eine Herzensangelegenheit. Doch die politische Agenda führt ihn weiter, nach Nordafrika und später in den Brandherd Palästina. Mit gutem Grund: Schon der Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini (1893–1974), pflegte exzellente Beziehungen zu Hitler. Im März 1944 wandte sich der Führer über den Grossdeutschen Rundfunk an die Muslime: «Araber! Erhebt euch wie ein Mann und kämpft für euer heiliges Recht! Tötet die Juden, wo immer ihr sie findet. Das gefällt Gott, der Geschichte und dem Glauben.» Hitler trifft den Ton. Das ist die Sprache des Korans, der Sure 2:190–191: «Kämpft auf dem Wege Gottes gegen die, die euch bekämpfen! [. . .] Tötet sie, wo immer ihr sie antrefft!»
Al-Husseini bittet das NS-Regime, die Auswanderung der Juden nach Palästina zu «unterbinden». Heinrich Himmler bekräftigt «das natürliche Bündnis zwischen dem nationalsozialistischen Grossdeutschland und den freiheitsliebenden Mohammedanern der ganzen Welt». Die sozialistischen 68er werden dieses Bündnis erneuern: Indem sie die PLO bedingungslos unterstützen und auch deren Führer Jassir Arafat, der noch 2002 den notorischen Antisemiten Al-Husseini als einen «unserer Helden» bezeichnet hatte.
16 Millionen D-Mark Lösegeld
Und François Genoud? Er erkennt das Potenzial der arabischen Freiheitsbewegung. Sie ist nationalistisch und sozialistisch und antisemitisch. Eine Mischung, die dem Judenhasser aus der Schweiz mundet. 1957 gründet er die Banque Commericale Arabe und unterstützt den algerischen FLN, der einen sozialistischen Rätestaat anstrebt. In den sechziger Jahren entdeckt er seine neue Leidenschaft: die Palästinenser. Der Kampf gegen Israel verbindet. Er pflegt vielseitige Kontakte zur PLO und ihren Unterorganisationen. Auch geschäftliche Beziehungen.
Besonders eng verbunden ist Genoud mit George Habash und Wadi Haddad von der marxistischen PFLP. Diese beschiesst 1969 auf dem Flughafen Kloten ein Flugzeug der El Al. Genoud organisiert und finanziert die Verteidigung der Schützen. 1972 überbringt er die Lösegeldforderung einer durch Haddad entführten Lufthansa-Maschine. Es fliessen rund 16 Millionen DM, und bis heute kursieren Verdachtsmomente, dass sich verschiedene Airlines mit Zahlungen vom Terror freikauften. Die Bundesanwaltschaft kommt 1980 sogar zum Schluss: «Nicht zuletzt ihm [Genoud] ist es zu verdanken, wenn die Schweiz von politischen Anschlägen arabischer Freiheitsbewegungen verschont wird.»
Zu einem Pin-up-Girl des linksarabischen Terrors entwickelt sich Leila Khaled, in Szene gesetzt mit Kalaschnikow und dem traditionellen Kufiya-Tuch. Nach einer missglückten Entführungsaktion wird sie 1970 in Grossbritannien verhaftet und im gleichen Jahr freigepresst. «Deshalb konnten wir weitermachen», wird Khaled drei Jahrzehnte später in der BBC sagen, «denn es wurde uns lebhaft vor Augen geführt, dass wir unsere Ziele im bewaffneten Kampf erreichen konnten.» 2001 ist sie Gaststar am 1. Mai in Zürich. Das Organisationskomitee beschreibt die Frau als «streitbar, sympathisch und mit Charisma». «Mit Flugzeugentführungen, bei der [sic!] notabene kein Passagier zu Schaden kam», habe die PFLP ein «Zeichen» setzen wollen. Dass mit den Millionen an Lösegeld die «Japanische Rote Armee» ausgerüstet und instruiert wurde, wird unterschlagen. Sie richtet 1972 ein Massaker auf dem israelischen Flughafen Lod an: mit Dutzenden von Toten und Verletzten.
Im Nahen Osten tummeln sich Gestalten wie die RAF-Angehörigen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Die Linksschickeria in der Schweiz und Deutschland sympathisiert mit dem palästinensischen Terror – während der unermüdliche François Genoud mit seinen Erträgen aus dem Nazi-Geschäft die Attentate gegen Israel unterstützt. Nationalisten, Sozialisten und Nationalsozialisten in schönster Eintracht. «So gelingt den Waffenbrüdern Genoud und Haddad ganz nebenbei die Konvergenz der Systeme», schreibt Willi Winkler in seiner glänzend geschriebenen Darstellung, «wenn linke, gewaltbereite Intellektuelle im Einsatz für die Verdammten dieser Erde wie ihre rechten Väter gegen die Juden vorgehen.»
1973 lassen die Progressiven Organisationen der Schweiz (Poch) ausrichten, sie würden sich solidarisch erklären «mit dem Befreiungskampf der arabischen Völker und insbesondere mit dem des palästinensischen Volkes». Er sei kein Antisemit, beteuert Genoud treuherzig, sondern «Antizionist». Exakt gleich tönt es von den linksradikalen Poch. Drei ehemalige Mitglieder tummeln sich noch heute in Bundesbern: die grünen Nationalräte Daniel Vischer und Louis Schelbert und die SP-Ständerätin Anita Fetz.
Seine letzte Mission bringt Genoud mit Carlos zusammen. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hält den Landsmann und mehrfachen Mörder für einen «Revolutionär». Genoud, «mein liebster Genosse» (Carlos), will den bis heute inhaftierten früheren Topterroristen der PFLP verlegerisch betreuen. Hitler habe ideologisch nicht auf seiner Linie gelegen, sagt Carlos. Aber er sei ein ehrbarer Mann gewesen. «Er hat sich für die Sache geopfert, an die er glaubte. Solche Menschen muss man respektieren.» Vielleicht, sinniert Carlos’ Gattin Magdalena Kopp nach dieser Einschätzung, sei ihr Ex-Mann gar kein Linker. Oder Genoud kein Rechter. In den Extremen verwischen sich die Gegensätze. Das zeigt nicht nur die Kar-riere des Schweizer Nationalisten und Sozialisten François Genoud.
Willi Winkler: Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos: Das gewissenlose Leben des François Genoud. 352 S., Fr. 30.50
Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 07/11
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