Stellungnahme anlässlich der Pressekonferenz des "Mideast Freedom Forum Berlin" mit Rabbi Abraham Cooper über "Das Simon Wiesenthal Center und die Liste der schlimmsten antisemitischen/antiisraelischenn Verunglimpfungen 2012" am 31. 1. 2013 in Berlin · Von Matthias Küntzel
Ich bin dem Simon Wiesenthal Zentrum dankbar, dass es Jakob Augstein auf seiner Zitatenliste 2012 angeführt und damit die gegenwärtige Debatte angestoßen hat.
Einige waren irritiert, weil kein Angehöriger der Flakhelfer- oder SS-Generation unter Verdacht geraten ist, sondern ein Jungstar des Journalismus – ein erklärter Linker, der sich selbst zu jenen zählt, die den Antisemitismus bekämpfen.
Wer sich seine Texte und Fernseh-Auftritte genauer anschaut, stößt jedoch auf eine Fülle von Anspielungen und Phantasien, die keine Realitäten beschreiben, sondern Bilder des Antisemitismus mobilisieren: Da scheinen Israelis zu kommandieren und Deutsche zu kuschen, da wird das Bild vom infam lachenden Juden und vom ausgelachten Deutschen mobilisiert, da wird das Wort von Günter Grass, „Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“ zu einer neuen Offenbarung und der Schriftsteller zum Märtyrer erklärt: „Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen.“
Doch auch dies ist falsch. 65 Prozent der Deutschen sprachen diesen Satz bereits 2003 im Rahmen einer EU-Umfrage aus. Sie waren sich darin einige, dass Israel „die größte Bedrohung für den Frieden in der Welt sei.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf diese Stimmung in mehreren Reden aufmerksam gemacht, so in ihrer Rede vor der Knesset in 2008 und in ihrer Rede im Berliner Jüdischen Museum von 2011. „Wir gehen wir damit um, wenn in Umfragen eine deutliche Mehrheit der Befragten in Europa sage, die größere Bedrohung für die Welt gehe von Israel aus und nicht etwa von Iran?“ Sie plädierte dafür „vor dieser öffentlichen Meinung“ nicht zurückzuweichen, sondern, „wie unbequem es auch sein mag“, auf die Richtigstellung derartiger Trugbilder zu bestehen.
Jakob Augstein möchte das Gegenteil: Er will das antisemitisch aufgeladene Massenbewusstsein, das in Israel den Welt-Brandstifter sieht, verstärken und plädiert für eine neue Politik, die dieser öffentlichen Meinung Rechnung trägt.
Wir wissen nicht, welche Regierung und welche Politik am Ende dieses Jahres hierzulande zum Zuge kommen wird. Aber wir wissen, dass die Kräfte des Antisemitismus, die in Teheran, Gaza und Kairo Israels Beseitigung propagieren und planen, niemals so mächtig waren wie heute. Und wir wissen, dass größere Auseinandersetzungen zwischen dem demokratischen Israel und jenen Mächten des Antisemitismus nicht ausgeschlossen sind.
Es geht bei dieser Auseinandersetzung also nicht um Begriffsklauberei, sondern um Kernbestandteile der deutschen Innen- und Außenpolitik. Es geht um die Frage, welche Haltung Deutschland angesichts der Bedrohung Israels durch den globalen Antisemitismus einzunehmen gedenkt. Es geht um die Frage, welche Schlussfolgerungen wir aus der deutschen Vergangenheit ziehen und wie das Verhältnis zwischen Nicht-Juden und Juden in Deutschland künftig aussehen wird.
Der israelbezogene Antisemitismus, der in Augsteins Assoziationen aufscheint, wird seit Jahrzehnten erforscht. Lassen Sie mich aus dem jüngsten Bericht der Universität Bielefeld von 2011 über „Antisemitische Mentalitäten“ zitieren: „Vielfach (erweist) sich die vorgetragene Kritik an Israel als beladen mit Antisemitismus bzw. als Vehikel, Antisemitismus zu transportieren. … Auch die auffällige Emotionalität trägt antisemitische Züge, ist sie doch in dieser Form oft singulär beim Thema Israel und Nah-Ost Konflikt zu beobachten.“ Die „transformierte(n) Formen des Antisemitismus“ sind „subtil, … weil sie scheinbar Juden und das Judentum im Mantel ,berechtigter Kritik‘ … gar nicht abwerten.“ (Andreas Zick und Beate Küppers, Antisemitische Mentalitäten. Bericht über Ergebnisse des Forschungsprojektes Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und Europa. Expertise für den Expertenkreis Antisemitismus, Berlin 2011)
Und doch hat das Wiesenthal-Zentrum Jakob Augstein keineswegs a priori als Antisemiten bezeichnet, wie es hierzulande hieß, sondern dem Journalisten eine Brücke gebaut: Es könne ja sein, erklärte Rabbi Cooper, dass eine Person antisemitische Äußerungen von sich gebe, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wie über Augstein zu urteilen sei, hänge also von dessen Antwort auf die Vorwürfe ab.
Hat Jakob Augstein diese Brücke betreten? In einem langen Streitgespräch mit Dieter Graumann, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, das der „Spiegel“ am 14. Januar veröffentlichte, erhielt er Gelegenheit, sich zu erklären. Er beharrte aber nicht nur auf seine Formulierungen, die, abgesehen von einer Nazi-Assoziation, „nichts Anstößiges“ enthielten und angeblich „rational“ argumentierten. Sondern er grenzte sich zugleich vom „neurotischen Journalismus“ und von den „verdrucksten Texten“ anderer Journalisten ab. In Wirklichkeit habe er „Normalität im Umgang mit Israel“ und „keinen Doppelstandard“ praktiziert.
Augstein demonstrierte Egozentrik statt Sensibilität. Er tat gar, als habe er den deutschen Journalismus vom Schatten der Vergangenheit befreit. Seine Polemik gegen den „neurotischen“ und „verdrucksten“ Journalismus will aber nicht die Freiheit der Kritik – die hat es immer gegeben – sondern die Freiheit des Ressentiments, die Freiheit zum Hass.
Gleichzeitig fertigt er den Zentralratsvorsitzenden Dieter Graumann ab. Als ihn Graumann bat, die jüdische Stimme wenigstens „ernst zu nehmen“, konterte der Verleger mit dem Vorwurf, Graumann wolle zensieren, so als würde die jüdische Stimme bei dem, was er unter Normalität versteht, nur stören.
Er erklärte, das gegenwärtige Israel mit derselben Begründung immer gemieden zu haben und auch weiterhin zu meiden, mit der man Südafrika zur Zeit der Apartheid gemieden habe.
Es war ein drastisches und schockierendes Gespräch, das die Einstufung des Wiesenthal-Zentrums unerwartet eindeutig bestätigte. Nach seiner Veröffentlichung passierte aber etwas, das ich bis heute nicht verstehen kann. Während sich am Anfang dieser Augstein-Debatte die Medien mit immer neuen Berichten und Kommentaren geradezu überschlugen, wurde es nach diesem „Spiegel“-Gespräch geradezu unheimlich still. Warum?
Waren Augsteins Kolleginnen und Kollegen über dessen Auftritt einfach nur begeistert, ohne das nach außen demonstrieren wollen? Oder wird, was ich eher vermute, so durchgängig geschwiegen, weil dem einen oder anderen die anfangs überschwängliche Parteinahme für Augstein peinlich geworden ist?
Natürlich konnte man, als Anfang des Jahres die Wiesenthal-Liste bekannt wurde, unterschiedlicher Meinung darüber sein. Man konnte sich informieren und das Ganze kommentieren. Doch geschah eben nicht! Von wenigen Ausnahmen abgesehen, nahm man Augensteins Texte reflexhaft und leidenschaftlich in Schutz. Was Augstein als Einzelperson schrieb, war anstößig. Was sich hier aber als ein kollektiver Reflex offenbarte, war erschreckend.
Fast alle standen Augstein bei: CDU und Linkspartei, „taz“ und „FAZ“, Deutscher Journalisten-Verband und Zentrum für Antisemitismusforschung, der Vize-Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Generalsekretär der Evangelischen Akademien.
Um den Angriff von außen gefährlicher aussehen zu lassen, wurde aus der Textkritik des Wiesenthal-Zentrums eine Art Fahndungsaufruf konstruiert. Man habe Augstein „zum Verbrecher, sozusagen für vogelfrei (erklärt)“ behauptete der „Tagesspiegel“. „Wer Israel kritisiert, wird mit der Antisemitismus-Schrotflinte beschossen“, beklagte die „taz“.
Man gab sich überzeugt, dass einer wie Augstein kein Antisemit sein kann. Denn wäre er es, wären ,wir‘ es möglicherweise auch. Manche fanden diesen Gedanken lustig, so die Taz, die einen Kommentar mit „Wir Antisemiten“ überschrieb. Oder ein Autor des Tagesspiegel, der sich wünschte, „auch auf die Antisemiten-Liste“ zu kommen.
Vielleicht ist aber gerade dies der Punkt, der die massenhafte Solidarisierung mit Augstein erklärt: Der israelbezogene Antisemitismus ist in Deutschland derart verbreitet, dass es schon besonderer Anstrengungen bedarf, um von ihm nicht angesteckt zu werden. So wie es früher normal war, dass man pauschal etwas gegen „Juden“ hatte, ist es heute normal, dass man pauschal was gegen „Israel“ hat. Man kann sich über diesen Tatbestand empören. Wirklich wichtig aber ist, ihn nüchtern zur Kenntnis zu nehmen.
Man kennt es aus der Statistik: 81 Prozent der Deutschen stimmten 2004 der Aussage: „Der Krieg Israels gegen die Palästinenser ist nicht zu rechtfertigen“ zu. 40 Prozent der Deutschen fanden es 2008 richtig, das israelische Handelns gegen die Palästinenser mit dem Vorgehen der Nazis gegen die Juden gleichzusetzen. 38 Prozent waren 2010 der Meinung: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ (Zick/Küppers, a.a.O., sowie Antisemitismus in Deuschland, Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitimus, Berlin 2011)
Man kennt es aber auch aus dem Alltag: Die Augen des Gesprächspartners beginnen einen fiebrigen Glanz auszustrahlen, seine Stimme bekommt einen metallischen Klang – wenn nur eine Chance besteht, den erhobenen Zeigefinger in Richtung Israel zu schwenken. Warum? Weil es unterschwellig um Emotionen, um Schuldentlastungen geht. Wir müssen uns die große psychologische Verlockung vor Augen halten, die darin besteht, in Israelis, also Juden, brutale Verbrecher zu sehen. Dann nämlich sind wir Deutschen im Schuldsaldo quitt.
Beides geht jedenfalls zusammen: Hier die Abscheu vor dem Antisemitismus der Nazis. Dort die millionenfache Akzeptanz eines Antisemitismus der sich hinter der Bezeichnung „Israelkritik“ versteckt. „Den Wahn erkennt natürlich niemals, wer ihn selbst noch teilt“, hatte Siegmund Freund 1930 geschrieben. Lässt sich der kollektive Solidarisierungsreflex mit Augstein so vielleicht verstehen?
Bei dem unheimlichen Schweigen, das dem „Spiegel“-Streitgespräch folgte, darf es nun nicht bleiben. Immer wieder hat die Indifferenz der einen, dem Antisemitismus der anderen zum Durchbruch verholfen. Deshalb muss auch der Beifall für Augstein Gegenstand kritischer und selbstkritischer Betrachtungen sein.
Ich danke Rabbi Cooper, dass er nach Berlin gekommen ist und hoffe – nein: fordere! – dass die eigentliche Diskussion über Journalismus und Antisemitismus beginnt.
via haolam
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