Thursday, October 26, 2017

Eine hetzende Rentnerin?

Diese Straftat am Heiligen Abend vorigen Jahres hat ganz Deutschland erschüttert. Auf dem U-Bahnhof Schönleinstraße in Berlin-Kreuzberg zündeten sieben Flüchtlinge aus Syrien und Libyen einen schlafenden Obdachlosen an. Nur durch das schnelle und beherzte Eingreifen von Passanten konnte Schlimmeres verhindert werden. Sie löschten die Flammen, der Mann aus Polen blieb unverletzt. Die Täter fühlten sich ziemlich sicher, stiegen unbeeindruckt in eine S-Bahn. Und wussten nicht, dass sie gefilmt wurden. Nachdem die Polizei die Videos, auf denen die Täter klar erkennbar waren, veröffentlicht hatte, stellten sich sechs der Täter der Polizei. Der siebente wurde von Zielfahndern gefasst. Alle landeten vor Gericht. Der 21-jährige Haupttäter bekam wegen gefährlicher Körperverletzung eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Vom Vorwurf des versuchten Mordes rückte die Staatsanwaltschaft Berlin wieder ab. Drei 17 bis 18 Jahre alte Mitangeklagte wurden wegen Beihilfe zu Jugendstrafen von jeweils acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Zwei weitere Angeklagte im Alter von 16 und 19 Jahren bekamen wegen unterlassener Hilfeleistung jeweils vier Wochen Arrest. Vor Gericht fand sich jetzt auch eine 63-jährige Rentnerin aus Radebeul wieder. Der Frau wurde von der Staatsanwaltschaft Volksverhetzung vorgeworfen. Sie hatte auf der Facebookseite „Freundeskreis Thügida“ zu dem Vorfall gepostet: „Jawohl, weg mit dem Dreck“. Mit dem Dreck meinte sie die Ausländer. Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst einen Strafbefehl beantragt. Wegen Volksverhetzung sollte die Radebeulerin eine Geldstrafe von 2 700 Euro zahlen. Doch von sich aus nahm die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl zurück. Die Rentnerin glaubte schon, die Sache sei erledigt. Doch plötzlich flatterte ihr eine Anklageschrift ins Haus. Am Dienstag nun wurde vor dem Amtsgericht Meißen verhandelt. Sie habe mit diesem Post in Kauf genommen, dass das Vertrauen in die Rechtssicherheit des Staates gestört wird, warf ihr der Staatsanwaltschaft vor. „Ich habe nichts gegen Ausländer, bin selbst mit einem Ausländer liiert. Es ging mir in dem Post nur um diese sieben Männer und um diese konkrete Tat, keinesfalls gegen alle Ausländer“, beteuert die Radebeulerin. Der Richter wirft ihr einen weiteren Post vor, in dem sie einen Bericht des Berliner Journals kommentiert. In diesem geht es darum, dass Balkanstaaten, konkret Mazedonien, Flüchtlinge in Zügen nach Deutschland schicken. Kommentar der Rentnerin: „Der Wahnsinn geht weiter und hört nicht auf.“ Es sei ihrer Mandantin darum gegangen, zu kritisieren, wie die Flüchtlingspolitik gehandhabt werde. „Ich kann darin nichts Ausländerfeindliches erkennen“, sagt Verteidigerin Kerstin Reich. Sie sieht den Tatbestand der Volksverhetzung für nicht erfüllt an, fordert Freispruch. Es sei nicht pauschal gegen Ausländer gehetzt worden. „Es war eine spontane Gefühlsregung, weil sie Unrecht wahrgenommen hat. Sie hat etwas gepostet, ohne sich große Gedanken darüber zu machen“, sagt sie. Das Gericht sieht das anders. Es verurteilt die gelernte Bürokauffrau und Mutter zweier Kinder zu einer Geldstrafe von 1 350 Euro. Für die Radebeulerin ist das viel Geld. Sie bekommt gerade mal 667 Euro Rente, wovon fast die Hälfte für Miete draufgeht. Für den Richter ist zweifellos klar, dass es sich um Volksverhetzung handele. „Wer Zweifel hat, möge sie haben, ich habe sie nicht“, sagt er. Zweifel hat in jedem Falle die Verteidigerin. Sie will in Berufung oder auch Revision gehen.
http://www.sz-online.de/nachrichten/eine-hetzende-rentnerin-3803644.html

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