Radio Corax: Veranstaltungsraum
Unterberg 11 (Nähe Universitätsplatz),
Halle (Saale)
„Wir sind Dalai Lama." Ein Mönch und die Bedürfnisse seiner deutschen Anhänger
„Wir sind Dalai Lama." Ein Mönch und die Bedürfnisse seiner deutschen Anhänger
Vortrag von Horst Pankow
Mitte Juni berichtete die „Berliner Zeitung" von Anstrengungen deutscher Diplomaten ihren chinesischen Kollegen zu erklären, „dass Merkels Dalai-Lama-Empfang weniger eine außen- als eine innenpolitische Botschaft enthielt, weil der Friedensnobelpreisträger in Deutschland nun mal so populär ist". Und das ist er in der Tat. Schon als der politisierende Mönch im vergangenen Jahr durch Deutschland tourte, bescherte ihm der allgemeine Zuspruch nicht nur prominente Plätze in den Massenmedien, bei seinen öffentlichen Auftritten erreichte er Besucherzahlen, wie sie sonst nur Pop-Stars beschieden sind.Antwort auf die Frage nach den Voraussetzungen dieses, nicht nur in Deutschland, sondern nahezu in der gesamten westlichen Welt zu verzeichnenden Erfolgs ist freilich nicht leicht zu erlangen. In den Veröffentlichungen des Lamas findet man kaum mehr als diffuse Lebensweisheiten, die gestressten Zivilisationsmenschen nahelegen, nicht zu sehr am Materiellen zu kleben, Geduld, Gelassenheit und vor allem „Loslassenkönnen" zu üben, Weisheiten mithin, die auf dem Esoterik-Markt stets wohlfeil zu haben sind. Auch macht der Lama selbst wenig Aufhebens von seinem tibetisch-buddhistischen Firlefanz. Bei manchen Gelegenheiten hat er Konvertierungswillige gar mit der Aufforderung brüskiert, sich doch zunächst einmal mit ihrer „angestammten" religiösen Tradition zu beschäftigen.Mehr noch als „spiritueller Führer" hat das „geistliche Oberhaupt" der Tibeter als Separatistenchef einen Namen. Ob aus dem indischen Exil oder während seiner Welt-Tourneen, niemals wird er müde, den „kulturellen Genozid", den „Ethnozid" am „tibetischen Volk" mittels „Überfremdung der Heimat" anzuprangern. Wenn solcherlei Aufforderungen zur ethnischen Säuberung aber von tibetischen Nationalisten handfest umgesetzt werden, wie anlässlich des „Volksaufstandes" im März, als ein fanatisierter Mob chinesische Händler und ihre Angestellten lebendig verbrannte, winkt der Lama ab und droht sogar, angesichts der Gräueltaten das Handtuch zu werfen. Nicht die staatliche Unabhängigkeit Tibets ist sein Ziel, mit einer „Autonomie" innerhalb des chinesischen Staatverbandes würde er sich durchaus begnügen. Das Tibet vor der chinesischen Besetzung zu verklären, ist sein Anliegen offenbar nicht; er selbst hat schon auf das Barbarische der seinerzeitigen klerikal-feudalen Herrschaft hingewiesen.Scheint der Dalai Lama eine widersprüchliche Figur zu sein, ohne übertriebene Kohärenz in der Weltsicht, so zeigen sich seine deutschen Anhänger entschlossener. Die blutigen antichinesischen Ausschreitungen im März wurden nicht nur in Deutschland als legitimer Kampf gegen eine fiese Besatzungsmacht glorifiziert, der fanatische Mob und die verbrannten Leichen seiner Opfer aus den Videoaufnahmen der Nachrichtensender weitgehend entfernt. Entschlossen agierende Schlägertypen, die den Transport des sog. „Olympischen Feuers" gewaltsam zu verhindern versuchten, wurden zu Helden stilisiert, nicht etwa weil sie vielleicht dem irrational-autoritären Feuerzauber ein Ende hätten machen wollen, sondern weil die weltweite Fangemeinde das mythische Feuer schlicht von falschen, sprich chinesischen, Händen getragen sah.Sowenig die westliche Tibetbegeisterung etwas mit den realen Verhältnissen, Möglichkeiten und Perspektiven der kargen Hochland-Region zu tun hat, so wenig bezieht sie sich auf ein reales China. Auch wer annimmt, das Tibet-Bild der westlichen Tibet-Freunde sei ebenso eine Projektion wie die Heiligkeit des „geistlichen Oberhauptes", liegt wohl nicht falsch. Bezeichnenderweise ist gerade die zum „Dach der Welt" erhobene Himalaja-Region seit langem Projektionsfläche obskurer Bedürfnisse: Ein geheimnisvolles „Shangri-La", bewohnt von Menschen mit gleichermaßen intellektueller wie erotischer Weisheit, wähnten dort Schwärmer in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, später versuchten nazideutsche Expeditionen in dem Hochland die „Wiege der arischen Rasse" zu finden (noch heute geniert man sich nicht bei dem Hinweis, der Dalai Lama habe seine ersten Unterweisungen in Weltläufigkeit durch den SS-Mann Heinrich Harrer erhalten), und während des chinesischen Realsozialismus war Tibet ein Focus pseudomessianischen, fanatisch antikommunistischen Welterlösungswahns.Obgleich die historischen und mentalen Bedingungen solcher Projektionen heute nicht mehr existieren, wird dennoch ungehemmt weiter projiziert. Termini wie autochthon, gewachsene Kultur, Fremdherrschaft und Überfremdung bestimmen die aktuellen Tibet-Fantasien. Was es damit auf sich hat, was daraus folgen kann und ob möglicherweise bei einem guten oder auch schlechten „Medaillenspiegel" deutscher Sportler bei der Olympiade in China ein Boulevardblatt „Wir sind Dalai Lama" verkündet, soll im Vortrag erläutert werden.
Horst Pankow lebt in Berlin und veröffentlicht Einwände gegen den Irrationalismus dieser Zeit u.a. in „konkret“, „Bahamas“ und „Prodomo“.
Mitte Juni berichtete die „Berliner Zeitung" von Anstrengungen deutscher Diplomaten ihren chinesischen Kollegen zu erklären, „dass Merkels Dalai-Lama-Empfang weniger eine außen- als eine innenpolitische Botschaft enthielt, weil der Friedensnobelpreisträger in Deutschland nun mal so populär ist". Und das ist er in der Tat. Schon als der politisierende Mönch im vergangenen Jahr durch Deutschland tourte, bescherte ihm der allgemeine Zuspruch nicht nur prominente Plätze in den Massenmedien, bei seinen öffentlichen Auftritten erreichte er Besucherzahlen, wie sie sonst nur Pop-Stars beschieden sind.Antwort auf die Frage nach den Voraussetzungen dieses, nicht nur in Deutschland, sondern nahezu in der gesamten westlichen Welt zu verzeichnenden Erfolgs ist freilich nicht leicht zu erlangen. In den Veröffentlichungen des Lamas findet man kaum mehr als diffuse Lebensweisheiten, die gestressten Zivilisationsmenschen nahelegen, nicht zu sehr am Materiellen zu kleben, Geduld, Gelassenheit und vor allem „Loslassenkönnen" zu üben, Weisheiten mithin, die auf dem Esoterik-Markt stets wohlfeil zu haben sind. Auch macht der Lama selbst wenig Aufhebens von seinem tibetisch-buddhistischen Firlefanz. Bei manchen Gelegenheiten hat er Konvertierungswillige gar mit der Aufforderung brüskiert, sich doch zunächst einmal mit ihrer „angestammten" religiösen Tradition zu beschäftigen.Mehr noch als „spiritueller Führer" hat das „geistliche Oberhaupt" der Tibeter als Separatistenchef einen Namen. Ob aus dem indischen Exil oder während seiner Welt-Tourneen, niemals wird er müde, den „kulturellen Genozid", den „Ethnozid" am „tibetischen Volk" mittels „Überfremdung der Heimat" anzuprangern. Wenn solcherlei Aufforderungen zur ethnischen Säuberung aber von tibetischen Nationalisten handfest umgesetzt werden, wie anlässlich des „Volksaufstandes" im März, als ein fanatisierter Mob chinesische Händler und ihre Angestellten lebendig verbrannte, winkt der Lama ab und droht sogar, angesichts der Gräueltaten das Handtuch zu werfen. Nicht die staatliche Unabhängigkeit Tibets ist sein Ziel, mit einer „Autonomie" innerhalb des chinesischen Staatverbandes würde er sich durchaus begnügen. Das Tibet vor der chinesischen Besetzung zu verklären, ist sein Anliegen offenbar nicht; er selbst hat schon auf das Barbarische der seinerzeitigen klerikal-feudalen Herrschaft hingewiesen.Scheint der Dalai Lama eine widersprüchliche Figur zu sein, ohne übertriebene Kohärenz in der Weltsicht, so zeigen sich seine deutschen Anhänger entschlossener. Die blutigen antichinesischen Ausschreitungen im März wurden nicht nur in Deutschland als legitimer Kampf gegen eine fiese Besatzungsmacht glorifiziert, der fanatische Mob und die verbrannten Leichen seiner Opfer aus den Videoaufnahmen der Nachrichtensender weitgehend entfernt. Entschlossen agierende Schlägertypen, die den Transport des sog. „Olympischen Feuers" gewaltsam zu verhindern versuchten, wurden zu Helden stilisiert, nicht etwa weil sie vielleicht dem irrational-autoritären Feuerzauber ein Ende hätten machen wollen, sondern weil die weltweite Fangemeinde das mythische Feuer schlicht von falschen, sprich chinesischen, Händen getragen sah.Sowenig die westliche Tibetbegeisterung etwas mit den realen Verhältnissen, Möglichkeiten und Perspektiven der kargen Hochland-Region zu tun hat, so wenig bezieht sie sich auf ein reales China. Auch wer annimmt, das Tibet-Bild der westlichen Tibet-Freunde sei ebenso eine Projektion wie die Heiligkeit des „geistlichen Oberhauptes", liegt wohl nicht falsch. Bezeichnenderweise ist gerade die zum „Dach der Welt" erhobene Himalaja-Region seit langem Projektionsfläche obskurer Bedürfnisse: Ein geheimnisvolles „Shangri-La", bewohnt von Menschen mit gleichermaßen intellektueller wie erotischer Weisheit, wähnten dort Schwärmer in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, später versuchten nazideutsche Expeditionen in dem Hochland die „Wiege der arischen Rasse" zu finden (noch heute geniert man sich nicht bei dem Hinweis, der Dalai Lama habe seine ersten Unterweisungen in Weltläufigkeit durch den SS-Mann Heinrich Harrer erhalten), und während des chinesischen Realsozialismus war Tibet ein Focus pseudomessianischen, fanatisch antikommunistischen Welterlösungswahns.Obgleich die historischen und mentalen Bedingungen solcher Projektionen heute nicht mehr existieren, wird dennoch ungehemmt weiter projiziert. Termini wie autochthon, gewachsene Kultur, Fremdherrschaft und Überfremdung bestimmen die aktuellen Tibet-Fantasien. Was es damit auf sich hat, was daraus folgen kann und ob möglicherweise bei einem guten oder auch schlechten „Medaillenspiegel" deutscher Sportler bei der Olympiade in China ein Boulevardblatt „Wir sind Dalai Lama" verkündet, soll im Vortrag erläutert werden.
Horst Pankow lebt in Berlin und veröffentlicht Einwände gegen den Irrationalismus dieser Zeit u.a. in „konkret“, „Bahamas“ und „Prodomo“.
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