„Jedes Mal, wenn irgendwo irgendwas in der arabischen Welt explodiert, wird Israel dafür verantwortlich gemacht“, mokierte sich Israels Verteidigungsminister Mosche Ja‘alon über gängige Verschwörungstheorien. Weder er noch der israelische Premierminister bestätigten oder dementierten den Angriff auf Latakija.
Israel hält sich an die altbewährte Methode der Doppeldeutigkeit, wie im Falle der Atombomben. Es hat niemals den Besitz solcher Massenvernichtungswaffen bestätigt oder sie gar getestet, bemüht sich aber auch nicht, ihren Besitz zu dementieren. Israels Ziel ist eine wirksame Abschreckung. Wegen seiner Überzeugung einer atomaren Bewaffnung Israels hat der ägyptische Präsident Anwar el-Sadat mit Israel Frieden geschlossen. Seit 1973 hat kein arabisches Land mehr einen Krieg gegen Israel gewagt, auch Syrien nicht. Wer fest von Israel als Atommacht überzeugt ist, kann leicht feststellen, dass niemand, weder die Nachrichtenmagazine „Der Spiegel“ und „Focus“ noch die auf Atomkrieg spezialisierten Friedensforschungsinstitute, die genaue Zahl der vermeintlich im Besitz Israels befindlichen Atombomben kennt. Die Zahlen schwanken zwischen 60 und 600. Ein Zeichen, dass niemand Bescheid weiß.
Ein ähnliches Phänomen liefert jetzt die Attacke auf das Raketenlager in Latakija. Erst wurde es von den Syrern heruntergespielt, vielleicht weil es ihnen zu peinlich war, den Verlust dieser strategischen Waffen einzugestehen. Weltweite mediale Aufmerksamkeit erhielt der Vorfall erst, als drei ungenannte Beamte des amerikanischen Pentagon dem US-Sender CNN „verrieten“, dass Israel hinter dem Angriff steckte. Die Syrer dementierten dies über einen arabischsprachigen Sender im Iran und beschuldigten „Al-Qaida-Terroristen“. Sprecher der Rebellen in Syrien erklärten, den Angriff nicht durchgeführt zu haben. Inzwischen begannen „gut informierte Kreise“ mit Spekulationen, wie Israel den Angriff verübt haben könnte.
Laut CNN seien die Lagerhäuser aus der Luft bombardiert worden. Dann hieß es, dass die israelische Marine von der See her angegriffen habe. Inzwischen „wusste“ die britische Zeitung „Sunday Times“, dass ein von Deutschland geliefertes U-Boot der Dolphin-Klasse in enger Absprache mit den USA Marschflugkörper eingesetzt habe. Am Montag behauptete schließlich ein russischer Sender, dass israelische Kampfflugzeuge in der Türkei gestartet seien, um Latakija anzugreifen. Die neueste Wende: Ein ehemaliger syrischer Marinekommandeur, Malek el-Kurdi, habe über den türkischen Geheimdienst den Amerikanern „exakte Informationen“ über die Lagerhäuser mit den Jachont-Raketen geliefert, mitsamt der Information, dass Syrien diese Raketen an die libanesische Hisbollah weitergeben wolle. Dieses wiederum zählt zu den von Israel aufgestellten „roten Linien“. Wiederholt hatte Israel erklärt, aus eigenem Sicherheitsinteresse eine Lieferung moderner Waffen an die Hisbollah aktiv zu verhindern.
Solange Israel schweigt, Syrien dementiert und Amerikaner wie Russen widersprüchliche Szenarien in die Welt setzen, wird hier ein propagandistischer Weltkrieg zwischen den Großmächten ausgetragen.
Israelische Kommentatoren fragen sich, welches Interesse die Amerikaner hatten, ihr geheimes Wissen über einen möglichen israelischen Angriff auf Syrien über CNN zu verbreiten. Da die Amerikaner sich sogar mit Waffenlieferungen auf die Seite der Rebellen gestellt haben, könnten sie versuchen, Baschar al-Assad und die Regierungstruppen zu schwächen, indem sie Syrien in einen Krieg gegen Israel verwickeln. Voraussetzung dafür wäre der „Beweis“ eines israelischen Angriffs auf Syrien. Die „Sunday Times“ will wohl Deutschland wegen der U-Boot-Lieferungen in Verlegenheit bringen. Die Russen wiederum attackieren US-Präsident Barack Obama persönlich. Der Durchbruch zu einer Versöhnung zwischen der Türkei und Israel kam durch Obamas persönlichen Einsatz zustande. Die Behauptung, dass die israelischen Kampfflugzeuge ausgerechnet in der Türkei gestartet seien, klingt wie eine Sabotage der Annäherung zwischen Ankara und Jerusalem.
Wie bei anderen Ereignissen in Nahost sind nicht die Tatsachen von Bedeutung, sondern ihre Interpretation.
Von Ulrich W. Sahm / INN
No comments:
Post a Comment