»Ich wusste erst nicht, wohin ich komme«, erinnert sich Sara. Ursprünglich
wollte sie nach Schweden, zur Familie der Mutter, obwohl sie ihre Verwandten gar
nicht kannte. »Vielleicht haben sie Respekt vor mir«, so ihr Gedanke damals. In
Schweden gefiel es ihr, doch sie wurde entdeckt, musste zurück. Dann begann das
jahrelange Warten auf Anerkennung. »Man verliert die Zeit«, sagt sie.
Der Krieg in Syrien hat Saras Asylgesuch schließlich unterstützt. Durch die
brisante Lage in ihrer Heimat wurde ihr das Aufenthaltsrecht zuerkannt. Bis Juni
2015 darf sie nun in Deutschland bleiben und arbeiten. Ins Ausland reisen, etwa
nach Schweden, kann sie nicht: Ihren Pass musste sie dem Schlepper geben, der
sie aus Syrien brachte. »Ohne syrischen Pass kann ich nicht reisen«, sagt Sara.
Einen neuen bekommt sie aber nicht so leicht. Schließlich ist sie aus Syrien
geflüchtet.
Bereits zu Zeiten des Diktators Hafiz al-Assad, dem Vater Baschars, war sie
als syrische Christin benachteiligt worden, erklärt Sara M. Ende der 90er-Jahre
war für die damals 29-jährige Lehrerin die Lage in ihrer Heimat unerträglich
geworden. »Ich lebte alleine«, erzählt sie, »und galt deshalb als große
Schlampe«. Sara wollte nie heiraten, weil ihr Vater gewalttätig gewesen sei. Das
habe sie abgeschreckt. Als die Mutter mit 55 Jahren starb, wies der Vater seinen
vier Töchtern und drei Söhnen die Tür. Das war ein Jahr vor Saras Flucht. »Ich
wollte nicht bleiben in diesem Land«, erklärt sie.
Probleme hatte sie nicht nur mit der Familie, sondern auch mit der Politik.
»Es gibt keine Demokratie, zu viel Korruption«, sagt sie. Wer etwas braucht,
muss zahlen. Dazu kamen Benachteiligungen wegen ihrer Religion: »Die Moslems
lieben die Christen nicht«, sagt sie. Ihren Job an der Schule musste sie eines
Tages an eine muslimische Lehrerin abgeben. Sara war leidenschaftlich gerne
Lehrerin, unterrichtete in Syrien alle Fächer von der ersten bis zur sechsten
Klasse, darunter auch Arabisch. Wenn sie von ihrer Arbeit erzählt, leuchten ihre
Augen, dann lebt die 43-Jährige auf und sagt: »Ich will wieder in meine
Schule«.
Jetzt geht Sara selbst zur Schule, um die deutsche Sprache zu lernen. Doch
sie verliert schnell die Konzentration. »Ich bin müde, kann nachts nicht
schlafen«, klagt sie. Das Warten, die Unsicherheit, das Leben in den Heimen
haben sie ausgelaugt: »Ich habe mich verändert.« In Syrien sei sie ein aktiver
Mensch gewesen. Nach beinahe 14 Jahren Warten sei sie »fertig«. Selbst die
Aussicht auf eine eigene Wohnung freue sie nicht.
Sara kann noch nicht glauben, dass ihr Leben einmal leichter wird. Zurzeit
wohnt sie in einem Übergangsheim in Augsburg mit gemeinschaftlicher Küche,
Dusche und Toilette. Die zweistöckigen Holzreihenhäuser auf einer Wiese nahe den
Abstellgleisen des Hauptbahnhofs gelten als die beste Flüchtlingsunterkunft in
der bayerischen Großstadt. Sara lebt in der dritten Reihe, nahe dem Büro der
diakonischen Flüchtlingsberatung und Hilfsorganisation »Tür an Tür«, die ihr zur
Seite steht und bei der Wohnungssuche hilft. In Saras Zimmer stehen ein Bett,
ein Schrank, ein Fernseher auf einer schmalen Kommode, ein Tisch. Die Koffer
scheinen gepackt, alles wirkt wie auf Abruf. Sara hat keine Freunde hier.
Das Zusammenleben im Heim ist konfliktreich. Auch die Lage in ihrer Heimat
macht Sara zu schaffen. Dort laufe das Blut auf die Straßen, sagt sie. Wünsche
hat sie keine. Frieden, ja das wäre schön, Freude und Wohlergehen für alle. Den
Sohn ihrer Schwester würde sie schon gerne wiedersehen, verrät sie. »Komisch«,
sagt sie nachdenklich: »Ich weiß zwar nicht, welcher Tag, welcher Monat gerade
ist. Aber in Syrien gibt es einen Tag für Lehrer. Den vergesse ich nie.«
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