Aus Anlass des 20. Jahrestages des djihadistischen Massenmordes von Sivas macht die Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. auf das ungeheuerliche Handeln der türkischen und der deutschen Behörden gegenüber den Überlebenden der Bluttat aufmerksam; auf den Umstand, "dass die Tatverdächtigen straffrei ausgegangen sind, mindestens neun von den Attentätern in Deutschland leben, einer von diesen unter fadenscheinigen Methoden eingebürgert wurde und am Tatort immer noch keine angemessene Gedenkstätte existiert und es an jedem Jahrestag zu polizeilichen Übergriffen auf Gedenkende kommt".
"Am 2. Juli 1993 hat in Sivas ein staatlich geduldeter Pogrom stattgefunden. Über Stunden hinweg haben Polizei, Militär und Politik zugesehen, wie eine fundamentalistische Menge das Hotel Madimak, in dem stellvertretend für den freien und humanistischen Geist, Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle logierten, angriff. Der Mord an 35 Menschen wurde vom türkischen Fernsehen live übertragen. Einige der verurteilten Mörder haben sich – vermutlich mit staatlicher Unterstützung – ins Ausland abgesetzt. Mindestens 9 von ihnen leben hier in Deutschland. Die Antwort der Bundesregierung auf kleine Anfragen des Abgeordneten Memet Kilic (Bündnis 90/Die Grünen) legte offen, dass einer der Mörder mittlerweile eingebürgert wurde. Die Vermutung des Abgeordneten Kilic, dass die Mörder den deutschen Sicherheitsbehörden als V-Männer dienten und hierfür belohnt wurden, ist angesichts der dubiosen Umstände um die Einbürgerung nicht fernliegend. Wir fordern die Offenlegung der Zusammenarbeit der Sivas-Mörder mit dem türkischen, wie auch deutschen Staat.
Den Mut, sich der Vergangenheit zu stellen, hat die Türkei auch 20 Jahre nach dem Massaker nicht aufbringen können: Hält man den Umgang europäischer Länder mit Massakern und deren Opfern im Blick, ist es weder verständlich noch akzeptabel, dass in den Folgejahren am Tatort in Sivas erst ein Kebap-Restaurant, anschließend ein Blumenladen betrieben wurden, darüber hinaus auf der einzigen Gedenktafel zwei Täternamen mit denen der Opfer aufgeführt werden und es an jedem Jahrestag zu gewaltsamen Übergriffen der Polizei gegenüber der Gedenkenden, die das Hotel Madimak aufsuchen, kommt. Wir fordern, dass das Hotel Madimak zur Gedenkstätte, die zur Verpflichtung zum Handeln für Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit mahnt, umgewidmet wird. Der türkische Staat, der jedes Jahr zu Recht dem Anschlag von Solingen gegen die Familie Genç gedenkt, wird aufgefordert, Gleiches bei rassistischen, nationalistischen und islamistischen Anschlägen im eigenen Land zu tun. Die türkische Regierung macht sich unglaubwürdig, wenn sie Gleiches ungleich behandelt und außerhalb der eigenen Staatsgrenzen das Einhalten der Menschenrechte einfordert, im eigenen Land aber ebensolche mit Füßen tritt.
Wenn der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Aleviten wirklich ernstnehmen würde, würde er die Mörder von Sivas ihrer gerechten Strafe zuführen, den Ort des Verbrechens in eine Gedenkstätte umwandeln und die Opferfamilien entschädigen. Solange er das nicht tut, bleibt er für uns ein Wolf im Schafspelz!"
Daniel Leon Schikora
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