Friday, May 30, 2014

EU-Skepsis: Feindbild des politischen Establishments


von Gerrit Liskow
Die taz, das Vokabelheft der grünen Papageienschule, ließ in einer ihrer letzten Ausgaben wie so oft über etwas schreiben, von dem sie keine Ahnung hat und das sie „Die nationale Versuchung“ nennt. Und nein, liebe Leserinnen und Leser, es ging nicht um Martin Schulz, den deutschen Sozialdemokraten, der seiner SPD das strammste, deutschnationalste EU-Wahlergebnis der Post-Schröder-Phase beschert hat.
Ees ging um jene Euroskepsis, die sich die taz offenbar nur als eine Art asoziale, apolitische Undankbarkeit zurechtreimen kann und an der sie vor allem nicht kapieren will: dass sie sich nicht gegen Europa, sondern ganz allein gegen die EU richtet.
Zuvor hatte jenes Milieu, dem beim Gedanken an einen deutschen EU-Boss der ideelle Gesamtschlüpfer feucht wird, Schulzens SPD gewählt. Das war ein Triumph des nationalen Sozialismus, zu dem in diesem Fall noch nicht mal die „Links“-Partei was kann.
Doch zurück zur taz. Statt sich zu fragen, ob das Ergebnis der EU-Wahl vielleicht nicht doch ein kleines bisschen auf dem eigenen Mist gewachsen sein könnte und das Erstarken der zentrifugalen politischen Kräfte auf der extremen Linken und Rechten unter anderem auch eine Reaktion auf deutsch-europäische Allmachtansprüche ist, identifizierte die taz zielstrebig die Schuldige: die WählerInnen! Die hatten nämlich die verkehrten Parteien gewählt, ach so.
Es wurde aber auch Zeit, dass das Fachblatt für die alternative Einheitsmeinung den Leuten nicht nur erklärt, was sie zu scheißen, sondern auch, was sie zu wählen haben: Ökopathen voran – dann werden wir endlich alle auf dieselbe Art anders!
Nicht nur der taz, sondern auch n-tv unterläuft indes ein überaus symptomatischer Wahrnehmungsfehler in ihrem Bemühen um die Denunziation jener Euroskepsis, die sich beispielsweis in der UK Independence Party manifestiert: Es geht um die zweckdienlich unterstellte Behauptung, EU-Skepsis wäre „nationalistisch“ und „ausländerfeindlich“.
Nationalistisch würde bedeuten, dass UKIP nur in einer Nation gewählt würde, z.B. nur in England. Dem ist nicht so. Fakt ist vielmehr, dass alle Nationen aus Großbritannien UKIP-MEPs nach Brüssel schicken: nämlich England, Schottland, Nordirland und Wales; Orkney und Shetland wird EU-mäßig durch Schottland vertreten.
Und gerade Schottland hat bereits eine Partei, sie sich mit Fug und Recht als nationalistisch bezeichnen lässt, nämlich Alex Salmonds SNP (Scottish National Party). Der SNP wiederum versucht nach der Methode Teile-und-Herrsche insbesondere die deutsche Sozialdemokratie gerne in den Hintern zu kriechen, was ziemlich blöd ist von den Genossen, denn wenn Schottland sich in Richtung Eigenstaatlichkeit aus dem Vereinigten Königreich entfernt, wird Labour es in Zukunft deutlich schwerer haben, im Palast zu Westminster irgendeine Art von Mehrheit zu bekommen.
Doch zurück zum Programm von n-tv. Bitte, bitte, bitte kapiert es endlich: Britisch ist keine Nationalität. Britisch ist (neben vielen weiteren, für ein glückliches und erfolgreiches Leben viel wichtigeren Dingen) eine Staatsangehörigkeit. An britische Nationalität glauben nur Leute, die diesen Unterschied nicht kennen oder nicht kennen wollen, z.B. die Rassisten und Neo-Nazis von der BNP.
Nationalität und Staatsangehörigkeit, oder Nation und Staat, sollte man auseinanderhalten können, liebes n-tv, sonst stellt sich nämlich die Frage, ob man im Geschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst hat oder sich vielleicht sogar jene Einheit von Nation und Staat zurücksehnt, die dem deutschen Faschismus als „politisches“ Ideal vorgeschwebte: der „Volksstaat“, in dem die Trennung zwischen Staat und Nation dauerhaft aufgehoben ist.
Nun zum zweiten Punkt, der angeblichen Ausländerfeindlichkeit euroskeptischer Parteien wie beispielsweise UKIP. Da mag es für einen Fernsehreporter, der sich ab und zu mal für n-tv in den Schatten des Unterhauses stellt, so aussehen, als wäre ganz London voller Ausländer, und zwar noch nicht mal in erster Linie voller Touristen.
Jedoch sind Menschen, die aus unkundiger Perspektive oft als „Ausländer“ wahrgenommen werden, in der Regel aller Fälle britische Staatsbürger. Ob sie in der Karibik, in Indien, in Afrika oder in den Cotswolds geboren sind, spielt dabei keine Rolle – es sind Briten, unabhängig ihrer Nationalität. Mithin sind diese vermeintlichen „Ausländer“ Menschen, die jedes Recht der Welt dazu haben, sich im Vereinigten Königreich aufzuhalten, dort zu leben, dort zu arbeiten, Kinder zu kriegen und glücklich und erfolgreich zu sein.
Niemand möchte ihnen diese Rechte wegnehmen, keine euroskeptische Partei und schon gar nicht UKIP.
Wenn es um die Zuwanderung aus der EU geht, muss man die Dinge differenziert betrachten. Wir sind vielleicht alle EU-Bürger (vulgo: „Europäer“), aber wir wurden bislang nicht gefragt, ob wir das sein wollen. Und dass alle „Europäer“ tatsächlich alles mit allen anderen „Europäern“ teilen möchten, halte ich angesichts der Ergebnisse der jüngsten EU-Wahlen für ziemlich zweifelhaft. Oder schlagt Ihr jetzt ein noch repressiveres Kapitel in der Durchsetzungsgeschichte des Euro-Nationalismus auf, liebe EU-Kommission?
Eine nach transparenten Quoten gesteuerte Einwanderungspolitik ist in Canada, Australien und Neuseeland seit vielen Jahren üblich. Sind diese Staaten rassistisch? Ich glaube, nein. Auf jeden Fall sind sie nicht dumm. Denn wie die Praxis zeigt, ist daraus im Laufe der Zeit sowohl für die Zuwanderer als auch für die betreffenden Einwanderungsländer ein Erfolgsmodell geworden. Nun die Preisfrage, liebe alternative Einheitsmeinung: Warum ist es ausländerfeindlich, wenn es Menschen gut geht?
Daran schließt sich eine zweite Frage unmittelbar an: Warum hat eine Software-Expertin aus Guangzhou bessere Chancen, in Australien einzuwandern, als beispielsweise ein LKW-Fahrer aus Herne?
Könnte es daran liegen, dass es LKW-Fahrer vielleicht auch in Australien schon genug, Software-Experten hingegen zu wenig gibt? Könnte es ferner so sein, dass der LKW-Fahrer es besser hat, wenn er in Herne bleibt (außer, er studiert Informatik)? Könnte es sein, dass da draußen noch immer eine Wirklichkeit existiert, die nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage funktioniert? Haben Eure Versuche, den Markt behördlich zu Tode zu regulieren, noch immer nicht gefruchtet, liebes „links“-alternatives Establishment?
Nun die nächste Frage: Warum hat dieselbe Softwareexpertin aus Guangzhou keine Chancen, ihren Beruf in der EU auszuüben? Vielleicht, weil sie dem uffjeklärten Milieu eins der nach vierzig Jahren „mehr Europa“ knapp gewordenen qualifizierten Arbeitsplätzchen wegschnappen könnte? Zu beschäftigen wäre sie vielleicht sogar, nur eben nicht entsprechend ihrer Qualifikation, sondern höchstens an einer Tankstelle oder als Erntehelferin, und das nur, weil sie aus China und nicht aus Tschechien kommt. Das nenne ich nicht bloß Rassismus, sondern Apartheid.
Geht’s vielleicht bloß darum, eure eigenen Plätze an den Futtertrögen zu verteidigen, liebes uffjeklärtes Milieu, indem ihr unterstellt, ein anhand der Qualifikation gesteuertes Punktesystem wäre ausländerfeindlich? Sind alle Menschen gleich, aber manche gleicher, nämlich die EU-Bürger?
Nun würden taz-Leser sicherlich behaupten, Einwanderungspolitik ist immer rassistisch und in Australien sind sowieso alle blöd. Mit anderen Worten: Sie hätten zur Sache nichts Vernünftiges zu sagen, dafür aber viel über ihre eigenen Vorurteile mitzuteilen.
Würde ein Punktesystem nicht vielleicht doch Menschen davon abhalten, ihr Glück in Melilla oder am Pas-de-Calais zu versuchen? Wäre das besser, als vor Lampedusa im Meer zu ersaufen? Ich denke, ja, aber ich weiß auch, dass Todesopfer noch nie ein brauchbares Argument waren, um „Linke“ von ihren Wahnvorstellungen abzubringen.
Zu zwölft in einer Gartenlaube wohnen und in der Woche 50 Euro bar auf Kralle machen (mit Autowaschen, Rasenmähen, etc.) gilt interessanterweise nicht als menschenfeindlich, obwohl es das sicherlich ist, sondern als progressives Erwerbsmodell, das Toleranz verdient. Komisch, kommt nur mir das so vor, oder stimmt da was nicht mit eurer Theorie, liebes Establishment?
Niemand will euch eure billigen, illegal beschäftigen Haushaltshilfen und Gärtner wegnehmen. Aber ist es nicht vielleicht so, dass Ihr den Rassismus-Vorwurf im Laufe der Jahre soweit ad absurdum geführt habt, dass man damit zwar den Bereich des diskursiv „Erlaubten“ immer noch repressiv eingrenzen und „politisch“ beherrschen kann, gleichzeitig aber von tatsächlichem Rassismus ablenkt und über ihn hinwegtäuscht?
Immerhin wurde und wird von der deutschen Einheitsmeinung über genuinen Antisemitismus, Neonazismus und Rassismus nur zu gern hinweggeschwiegen, wenn’s politisch in den Kram passt. Beispielsweise, wenn es darum geht, die mehr oder weniger gewaltsame Durchsetzung deutscher EU-Interessen in der Ukraine zu legitimieren.
Zumindest in meinem Wörterbuch ist es immer noch Faschismus, wenn man sich dazu Kräften wie der Svoboda Partei und dem „Rechten Sektor“ bedient. Und Rassismus, wenn Menschen umgebracht werden, weil sie Russen sind. Auch wenn die Halt’s-Maul-Brigade das nicht wahrhaben will: Genau das ist in Mariopol geschehen.
Sieht so aus, als würde das deutsch-europäische Establishment sich des Rassismus-Vorwurfs vor allem dann bedienen, wenn es um die diskursiven, „politischen“ und wirtschaftlichen Eigeninteressen geht. Die tatsächlich durch Rassismus Bedrohten interessieren dabei nur ganz am Rande; und wenn, dann auch nur als Instrumente der „besseren“, uffjeklärten „Politik“.
Und nun zurück zur Preisfrage: Was ist ausländerfeindlich? Menschen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten und leben lassen, damit sie einem billig das Auto waschen und den Rasen mähen? Oder eine bedarfsgerechte Einwanderungspolitik, die allen Menschen gleiche Chancen einräumt, egal, ob sie aus der EU, aus Indien, Afrika oder von sonst woher kommen. Die dafür sorgt, dass sie eine auf Dauer angelegte, realistische Chance auf Teilhabe am Wirtschaftsleben erhalten – entsprechend ihrer Qualifikation und selbst dann, wenn sie nur geringfügig qualifiziert sind.
Der relative wirtschaftliche Erfolg von Australien, Canada und Neuseeland ist vielen Faktoren verdankt; nicht nur einer liberalen Einwanderungspolitik und nicht zuletzt den Einwanderern selbst. In der EU hingegen Fehlanzeige: Millionen von Arbeitslosen, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, politischer Extremismus und staatliche Selbstbedienungsmentalität – und keine Aussicht, dass sich daran etwas ändert; immerhin klapperte die EUdSSR selbst auf dem Rücken dieser für sie doch recht desaströsen Wahlergebnisse schon am Montag wieder lustig mit der Spendendose.
Alles im Interesse des Establishments in der offiziellen Politik, der paneuropäischen Nationalen Front von Mitte-Rechts bis Mitte-Links? Macht doch endlich eine Partei draus, das wäre wenigstens ehrlich; ihr müsst euch nur einen anderen Namen überlegen, Front Nationale gibt‘s nämlich schon.
Von einer Einwanderungspolitik im klassisch-liberalen Sinn haben beide Seiten was, das beweist die Praxis. Und anders als etwa Frankreich, Paradebeispiel staats-sozialistischer Steuerung, neigen Australien, Canada und Neuseeland auch nicht zum Extremismus. Womit sich nebenbei beweist, dass eine liberale Wirtschaft und eine liberale Gesellschaft zwei Seiten derselben Medaille sind. Sie würde allerdings sehr viele Hofschranzen von Vater Staat überflüssig machen – aber wäre das unbedingt etwas Schlechtes?
haolam

No comments: