Friday, March 06, 2015

Jeder verdient eine zweite Chance

Kaum hatte der Strafprozess wegen des Besitzes von Kinderpornografie gegen den SPD-Politiker Sebastian Edathy begonnen, war er auch schon wieder vom Tisch. Der Angeklagte, so begründete der Vorsitzende Richter Jürgen Seifert die plötzliche Einstellung des Prozesses, sei durch das Verfahren gestraft genug. Zudem, so behauptete der Richter weiter, habe sich der Angeklagte heute vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit seinem Fehlverhalten gestellt.
Damit verwies Jürgen Seifert auf eine dürre Erklärung, die Sebastian Edathy durch seinen Verteidiger Christian Noll verlesen ließ: „Die Vorwürfe treffen zu. Ich bereue, was ich getan habe.“ Direkt nach Einstellung des Verfahrens meldete sich der als Internet-affin bekannte Edathy allerdings auf Facebook zu Wort, um klar zu stellen, dass er selber mit Nolls Schuldeingeständnis nichts zu schaffen habe:  „Ich weise darauf hin, dass ein Geständnis ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt“, ließ er seine Fangemeinde im Tonfall eines Justizopfers wissen.

Grund zur Klage besteht für den SPD Poliker Edathy tatsächlich aber wenig, hatte doch eine glückliche Fügung dafür gesorgt, dass ausgerechnet Richter Jürgen Seifert den Vorsitz über seinen Prozess führte. Seifert hatte bereits in der Vergangenheit bewiesen, auch zu einem Urteil gelangen zu können, ohne ein Verfahren unnötig in die Länge zu ziehen und damit Staub aufwirbeln zu müssen.
So kamen etwa im Jahr 2009 elf von vierzehn des schweren Raubes und der gefährlichen Körperverletzung angeklagte Mitglieder der Rockerbande Hell’s Angels mit einer Bewährungsstrafe davon, nachdem Jürgen Seifert das Verfahren nach nur zwei Prozesstagen überraschend beendet hatte. Zuvor war, wie auch im Verfahren gegen Edathy, ein ‚Deal‘ mit der Staatsanwaltschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgesprochen worden, der Jürgen Seifert allerdings im Anschluss an den Prozess eine (folgenlose) Anzeige wegen Strafvereitlung im Amt und Rechtsbeugung einbrachte.
Einen kleinen Klapps auf die Finger gab Richter Seifert dem also nun nicht vorbestraften SPD-Politiker Edathy nach Einstellung des Verfahrens dennoch mit auf den Weg: Kinderpornos seien “sexueller Missbrauch” und verletzten die Opfer in ihrer “Würde”, klärte er Edathy auf. “Jedoch hat jeder Mensch, auch Herr Edathy, eine zweite Chance verdient.”

Von einer zweiten Chance können der Säugling Kai, der sechsjährige Victor und der achtjährige Smolo wohl nur träumen. Sofern sie noch am Leben sind, befinden sich Kai, Victor und Smolo vermutlich noch in der Hand von Kinderschändern, welche sie vor laufender Kamera sexuell missbrauchen, die gefilmten Qualen der Kinder in Dateien mit Titeln wie ‚Victor6yo‘, Victor, sechs Jahre alt, ‚Diaper-Boy Kai‘, Windeljunge Kai und ‚Smolo8yo‘, Smolo, 8 Jahre alt packen, um diese dann an eine zahlungskräftige Kundschaft zu verkaufen. An Kunden, wie den SPD Politiker Sebastian Edathy, der den Konsum dieser Filme, im Widerspruch zur Gesetzeslage, lange als seine Privatangelegenheit bezeichnet hatte.

Viel Verständnis und Milde erfährt Edathy dieser Tage nicht nur durch die deutsche Justiz, auch Teile der Medien sind ihm mehr als wohlgesonnen. Spiegel Online diagnostizierte nach Einstellung des Strafverfahrens etwa ‚niedere Instinkte‘, freilich nicht bei Edathy, sondern beim Volk, welches in den sozialen Netzwerken Unverständnis über das abrupte Verfahrensende geäußert hatte.
Der Kolumnist Jakob Augstein legte im selben Blatt nach und beklagte die ‚mangelnde Barmherzigkeit‘, die dem Kinderpornokonsumenten Edathy entgegenschlug und betrauerte den ‚sozialen Tod‘, den der SPD Politiker nun wohl sterben müsse. Die SPD-nahe Zeit legte noch eine Schippe drauf und warf sich in ihrer Onlineausgabe gar gleich bußfertig in den Staub, um von Edathy öffentlich Absolution zu erbetteln:  „Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy“, titelte man dort.

Die taz frischte wiederum die Behauptung auf, die Razzien in den Büros und der Wohnung des SPD Politikers seien aufgrund eines ‚schwachen Verdachtes‘ und der geringen Menge an gefundenen kinderpornografischen Dateien gar nicht rechtens gewesen. Ein Umstand der, wie inzwischen bekannt ist, der Tatsache geschuldet war, dass Edathy vermutlich aus SPD-Kreisen heraus gewarnt worden war, was ihm Zeit verschafft hatte, belastendes Material sowie seinen Dienstlaptop verschwinden zu lassen.
Wer Sebastian Edathy gewarnt hatte, um auf Kosten missbrauchter Kinder den Ruf seines Parteigenossen oder den Ruf der politischen Eliten insgesamt zu schützen, wird aber nun, da es kein Strafverfahren gegen Edathy geben wird, auf immer im Dunkeln bleiben. Ein derzeit stattfindender Untersuchungsausschuss, welcher dieser Frage zusätzlich nachgehen möchte, wird aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls wenig Erhellendes zu Tage fördern. Bislang wird als einzige undichte Stelle der SPD Abgeordnete Michael Hartmann genannt. Dieser weist alle Vorwürfe von sich.
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