Keine Viertelstunde vom Nationalmuseum entfernt befindet sich die
Grenze, die das Land und seine Hauptstadt in einen griechischen und
einen türkischen Teil spaltet. Diese Grenze gibt es seit dem bewaffneten
Überfall der Türkei auf Zypern im Jahre 1974. Die Türkei besetzte den
Norden des Landes, sowie einen Teil Nikosias und vertrieb mit Gewalt
alle Griechen aus den von ihr besetzten Gebieten. Bis dahin hatten
Griechen und eine Minderheit von Türken friedlich miteinander gelebt.
Die ethnische Säuberung des Nordens war gründlich. Die Griechen
wurden ihrer Häuser und ihres Besitzes beraubt. Bis 2003 durften sie den
türkisch besetzten Teil der Insel nicht betreten. Seitdem dürfen sie
besuchsweise ihre alten Dörfer wiedersehen, nur um festzustellen, dass
sie immer weniger wiedererkennen. Systematisch werden griechische Häuser
abgerissen und durch gesichtslose Neubauten ersetzt. Aus Orten, die
1974 gerade mal 3 000 Einwohner hatten, sind Städte mit zehntausenden
Bewohnern geworden, die zum größten Teil aus Anatolien stammen. Die
Türkei unterhält eine Besatzungsmacht von 40 000 Soldaten, während die
Republik Zypern gerade einmal 10 000 Armeeangehörige hat.
Um der ständigen Bedrängnis durch die Türkei zu entkommen, trat
Zypern 2008 der EU bei. Da Nordzypern nie als selbstständiger Staat
anerkannt wurde, wurde es ebenfalls Mitglied der EU, wenn auch nicht mit
allen Rechten. Man muss sich das wie die stille EG-Mitgliedschaft der
DDR vorstellen. Seitdem fließen reichlich EU-Gelder in den Norden, weil
er der weniger entwickelte Teil der Insel ist. Zum Beispiel kann man
jetzt im türkischen Teil von Nikosia eine mit EU-Geldern restaurierte
Karawanserei bewundern, während die christlichen Kirchen in einem
beklagenswerten Zustand sind, weil sie keine Gemeinden mehr haben, die
sich um sie kümmern können. Die EU lässt auch zu, dass Zypern keine
Überflugsrechte über die Türkei hat. Das ist besonders im Hinblick auf
den Tourismus hinderlich. Die zyprische Fluggesellschaft ging deshalb
pleite. Dafür darf die Türkei ungehindert ihre landwirtschaftlichen
Produkte in den Norden bringen und von dort verkaufen. Nun gelten
türkische Kartoffeln, Gemüse, Früchte und Oliven als EU-Produkte, ohne
die EU- Standards erfüllen zu müssen.
Die Türkei denkt nicht daran, die griechische Stadt Famagusta
zurückzugeben, wie sie sich verpflichtet hat. Sie kann darauf
vertrauen, dass die EU von ihr die Vertragserfüllung nicht einfordert.
In Zypern gibt es bis heute eine Besatzungsmacht, die unbeirrt versucht,
ihre Landnahme irreversibel zu machen. Das wird durch sichtbare Symbole
unterstrichen: Auf einen Berghang im Norden wurde eine riesige
türkische Fahne eingefräst, die bis nach Nikosia gut sichtbar ist, auch
nachts, denn sie wird farbig beleuchtet. Auf jeder der vielen
neugebauten Moscheen und auch auf den in Moscheen umgewandelten
christlichen Kirchen weht die türkische Fahne. Die Minarette sind unsere
Speerspitzen, hat Erdogan gesagt.
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