Monday, December 03, 2007

Thomas Kapielski: Auszüge aus Sozialmanierismus (II)

Der von mir erlittene Überfall hatte am 11.10.98 stattgefunden. Man war ziemlich beschädigt, die Rippen schmerzten, der Schmerz befeuerte ein stabiles Gedächtnis, man schlief und träumte schlecht, ging erst mal in keine Kneipe mehr; später dann schreckte man sofort auf, wenn einer, den man nicht kannte, dort einen zu schwunghaften Auftritt hatte. Und man salbte in den ersten Tagen die seelischen Verwundungen sehr gründlich mit Rachegedanken. Damit pflegte man sehr, sehr hilfreich auf’s erste die Wunden !
Ich hatte auch irgendwie neugierig und halbdoof damit gerechnet, dass in den folgenden Tagen so eine sozialpsychologische Abschnittsbevollmächtigte oder ein therapeutisches Polizeibataillon oder sonst was, jedenfalls eine dieser im Fernsehen und beim Winseln um Kassenbeiträge sonst ja immer ominpräsenten, psychosanitären Hilfskräfte vorsprechen würden, wie es einem so ginge, ob man Hilfe brauche, was die Rippenprellungen, das blaue Äuglein, das Seelchen machten. Nichts. Die entsprechenden Therapeuten waren wahrscheinlich vollauf mit der Betreuung von abgespannten Häftlingen und der Abschaffung der Todesstrafe in Amerika beschäftigt.
Mich hingegen hatten drei ausländische Mitbürger („multikulturelle Gruppierung“ war die offizielle Sprachregelung) mit in Deutschland geschliffener türkischer Zunge („Isch stesch disch ap, Alta !“) davon überzeugt, sie wieder einzuführen ! (Sind das die prophezeiten Bereicherungen durch Fremdes an unserem genuinen Gemeinwesen ?)
Und da sie bewaffnet waren, und der Auftritt des Staates mit seinem unbedingten Anspruch auf das Gewaltmonopol in Gestalt zweier vor Angst ganz blasser Goretex-Plüstermännchen keinerlei Gewicht noch abschreckende Wirkung gezeigt hatte und auch sonst kaum noch Respekt auszulösen vermag, forderte ich dies hinfort auch legal für mich: einen Püster ! Für Defensivfälle versteht sich. (Verteidigungsministerium) Eine allgemeine Bewaffnung der Edelmütigen, zum Zwecke ihres Erhalts ! Es würde früher oder später sowieso dazu kommen, da das Böse sich hemmungslos rüstet bis hinab ins gemeinste Glied und keine Hemmung besitzt, auch noch ein Kartoffelschälmesser aus nichtigstem Anlaß in ein unbescholtenes Fleisch zu stechen, wogegen man selbst zu rüsten, jawohl, liebe Freunde, keine Wahl mehr habe !
Gleichgeschaltetes Entsetzen: „Spinnst Du, Kapielski ?“
Nein, ich sei erst dann dafür, die Tötung von Mördern einzustellen, verkündete ich entzündeten Auges, wenn diese sofort und bedingungslos bereit wären, ihrerseits das Töten zu lassen ! Und sowieso: wer rumrennt, mit der Absicht jemanden umzulegen, der sollte dies wenigstens mit der Sorge tun, das ihm selbes widerfahren könnte.
„ Scharia !“ brüllte ich. „Scharia !“ – Einziges Geschenk des Islam an mich. (Obgleich wir so was selbst schon entwickelt hatten: Ius talionis !)
„Natürlich“, dämpfte ich die Verwirrung der bislang unversehrt Gebliebenen, welche sich, in der Ansicht, die Hölle sei immer nur für die anderen bestellt, im Kitsche humaner Gutseinsvermutungen wuschen, „natürlich muß alles streng nach römischem Corpus Iuris Civilis und an heutigem Zivilrecht sich ausrichten, natürlich gilt In dubio pro reo und wird, in meinem Sinne, mit aller Vorsicht, mit aller Sorgfalt geurteilt und gerichtet werden !
Ich bin kein Albaner !“
Nach und Zusatz: Halbes Jahr später, vor paar Tagen, am 2.7.99, kommt mir ein niedliches DIN-A-5 Saugpostformular ins Haus, ein maschinenhandschriftlicher Durchschlag, im Stile anrührend frühbürokratisch gehalten, und wie ein DDR-Passierscheinantrag gestaltet, worauf die Sache für erledigt erklärt wurde: „ Anzeige wegen schweren Raubes, Verfahren eingestellt“.
aus: Kapielski, Thomas ,Sozialmanierismus, Zweitausendeins, Frankfurt / M.
Writersblog von Thomas Kapielski.

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