Saturday, August 29, 2015

Deutsche Linke solidarisch: El-Khazzani mon amour!

 El-Khazzani mon amour!
von Gerrit Liskow

In Frankreich braut sich ein juristischer Skandal zusammen: Ayoub El-Khazzani, der allein reisende Marokkaner, der vor einer Woche im Expresszug Paris-Amsterdam auf denkbar brutale Art und Weise zum Opfer alliierter Yankee-Aggression wurde, ist in Untersuchungshaft. Bahnt sich ein Justizskandal vom Format der Affäre Dreyfus an?
„Sicherlich zählt die Unschuldsannahme zu den fundamentalen Errungenschaften jeder zivilisierten Gesellschaft“, hieß es im Bundesjustizministerium zum vorliegenden Fall.
Und weiter: „In dubio pro reo gilt auch hier. Es obliegt allein dem erkennenden Gericht, sich ein Urteil über diesen Vorfall zu bilden. Augenzeugen, Medien oder eventuell selbst an der Tat beteiligte Dritte sollten sich mit Meinungsäußerungen solange zurückhalten. Erst, wenn ein juristisch einwandfreies Urteil vorliegt, kann sich auch die Öffentlichkeit ihre Meinung bilden.“
Zuvor war das Opfer des gewaltsamen Übergriffs dreier US-Soldaten und eines Briten in Frankreich einem Haftrichter vorgeführt worden. Im Arbeitskreis Migrationspolitik der Links-Jugend hieß es hierzu: „Es ist schändlich, wie von der französischen Justiz die Rollen von Opfer und Täter zweckdienlich vertauscht werden, um sich beim herrschenden neo-liberalen Diskurs anzubiedern. Freiheit für El-Khazzani!“
Mitglieder des außenpolitischen Arbeitskreises der Links-Partei kamen in ihren Analysen zu dem Fazit, dass der Westen sich auch in diesem Fall die Krise zu hundert Prozent selbst eingebrockt hat: „Das ist doch völlig logisch! Wenn man sich in Ländern rumtreibt, in denen man nichts verloren hat, dann hat man selbst schuld, wenn einem so etwas passiert.“
Die Links-Partei solle alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen um den Bundestag zu einer einhelligen Kritik am Vorgehen der französischen Behörden zu zwingen: „Anders ist es ein geeintes Europa mit uns weder denkbar noch machbar.“
Beim Neuen Deutschland plant man/frau aus gegebenem Anlass für die nächste Woche eine breit angelegte Artikelserie zum Thema „Antiimperialistischer Widerstand in Theorie und Praxis“.
„Auch in Marokko, wo es den global operierenden Neo-Cons bislang noch nicht gelungen ist, den Staat zu destabilisieren um jene Bedingungen zu schaffen, unter denen sich neo-imperialistische Kriege durchsetzen lassen, sind die Menschen solidarisch mit ihren Brüdern und Schwestern in den failed states der Region: Libyen, Syrien und Irak sind die Opfer der gescheiterten aggressiven, pro-westlichen Entwicklungsdiktatur der vergangenen Jahrzehnte“, hieß es in einem vorab veröffentlichten ersten Entwurf des Leitartikels.
Auf Nachfrage verlautete aus der Redaktion des Zentralorgans: „Die Unterstellung, Islamismus hätte etwas mit Islam zu tun, ist genauso blöd wie die Annahme, Marxismus hätte was mit Marx zu tun. Unsere Menschen verdienen etwas Besseres als solche islamophoben Klischees und Stammtischparolen.“
Auch bei den deutschen Grünen regt sich der Unmut über das Vorgehen der französischen Behörden: „Der Angeklagte genießt in seiner Familie einen vorzüglichen Leumund. Sein Vater nennt ihn einen guten Jungen und lobt seinen Fleiß. Zu seinem Bruder Imran, der momentan zwischen Syrien und dem Irak pendelt um sich eine berufliche Zukunft aufzubauen, besteht ein enges partnerschaftliches Verhältnis.“
„Auch wenn es einzelne von uns vielleicht problematisch finden, wie der sogenannte Islamische Staat seine Ziele durchzusetzen versucht, so gilt doch die Meinungsfreiheit auch für Islamisten“, hieß es bei den Grünen weiter. „Letztlich ist die Unruhe in der Region und das Echo darauf in Europa nur eine Folge jenes Klimawandels, der nur durch die Energiewende aufgehalten werden kann.“
Die Grünen wollen rechtzeitig zum Klimagipfel der UN in Paris in einer Modellrechnung darstellen, wie viele Windkraftanlagen errichtet werden müssen um die Lage im Nahen und Mittleren Osten zu stabilisieren; aus dem Bundeskanzleramt wurde diese Ankündigung von einer uns namentlich bekannten Dame bereits auf herzlichste begrüßt.
Medienberichte, wonach die beiden El-Khazzani Brüder Ayoub und Imran sowie ihr Vater Mohammed in Algeciras (Spanien) durch dieselbe radikalislamistische Gebetsmühle gedreht wurden bzw. diese selbst betrieben, wurden vom linken Flügel der SPD als „dumpfster Populismus“ denunziert. „Man muss sich bei solchen Berichten immer fragen“, so eine uns bekannte Sozialdemokratin, „was mit dem Streuen solcher Meldungen betrieben werden soll. Wir Sozialdemokraten sagen: Bange machen gilt nicht!“
Sprecher diverser Flüchtlingsinitiativen betonen, dass eine juristische Verfolgung Ayoub El-Khazzanis lediglich Ausdruck des strukturellen Rassismus von Staat und Gesellschaft sei: „Wer diese Unterdrückungs- und Verfolgungspolitik befürwortet und propagiert muss sich nicht wundern, dass er dafür eines Tages die Quittung bekommt.“
Zu den Behauptungen des nunmehr juristisch verfolgten Opfers, es habe sich lediglich um einen gescheiterten Raubüberfall gehandelt, hieß es: „Da sieht man mal wieder, wozu der angeblich so liberale Rechtsstaat seine Opfer letztlich zwingt: zur Selbstbezichtigung.“ Und weiter: „Diese Ausgrenzungs- und Segregationsstrategie beschwört zukünftig und in zunehmender Form einen Widerstand herauf, der auch mal gewaltsam werden kann.“
Sprecher verschiedener Wohlfahrtsorganisationen hatten bereits am Donnerstag bei den französischen Behörden protestiert, als die ersten Fotos von El-Khazzanis Überstellung die Runde machten. Auf ihnen war zu sehen, wie das Opfer des brutalen Übergriffs barfuß und im Schlafanzug von einem Polizeiwagen zum Gerichtsgebäude begleitet wurde.
„Dass der arme Junge nun auch noch barfuß und im Schlafanzug auf den Straßen von Paris herumlaufen musste, ist ein neuer trauriger Beleg für die sozialen Kälte“, so eine Sprecherin. „Auch im Sommer kann man sich verkühlen, wenn man aus seiner Heimat wärmere Temperaturen gewohnt ist; da hilft auch kein Smartphone.“
Zuvor war bekannt geworden, dass der Angeklagte sich kurz vor dem Überfall auf ihn einige friedensverherrlichende Videos auf seinem soeben erworbenen Mobiltelefon angeschaut hatte, um sich auf der bis dato langweiligen und ereignislosen Zugfahrt die Zeit zu vertreiben.
„Eins ist schon mal klar“, hieß es aus der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften: „So blöd kann der El-Khazzani gar nicht sein, dass er wirklich aus dem Fenster eines fahrenden Schnellzugs springen wollte. Ganz offensichtlich wurden ihm diese Äußerungen in den Mund gelegt um ihn öffentlich zu diffamieren.“
In der linken Schutz- und Solidaritätsorganisation Rote Hilfe wurde bereits eine bundesweite Serie von Soli-Konzerten in kommunalen Jugend- und Kulturzentren angedacht um die Prozesskosten für ein Verfahren gegen den französischen Staat einzuspielen. „Den Khazzani verteidigen wir gratis“, hieß es dort kämpferisch.
„Ayoub kann mindestens auf verminderte Schuldfähigkeit plädieren und mehr als eine Ordnungswidrigkeit springt dabei nicht raus. Letztlich ist das Verfahren gegen ihn eine Farce und macht nur als Bestandteil der breit angelegten staatlichen Einschüchterungsstrategie überhaupt Sinn“, so ein der Roten Hilfe nahestehendes linkes AnwältInnen-Kollektiv.
Dort hieß es weiter: „Der Staat zieht mal wieder in den Krieg gegen seine Bürger. Aber wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Mit dem Schauprozess gegen Ayoub El-Khazzani sollen immer mehr Menschen für Sinn und Zweck der herrschenden Umstände gefügig gemacht werden.“
Ob die Drahtzieher des Vorfalls nun im Westen oder beim Islamischen Staat zu suchen wären, sei unerheblich: „Wie einfach sich angebliche Beweise am Tatort platzieren lassen, haben wir in Deutschland doch zuletzt im angeblichen Hochsicherheitstrakt von Stammheim gesehen“, so eine Szene-Anwältin.
„Bei alldem muss man sich fragen, wer dem Opfer überhaupt die Barbiturate verabreicht hat, unter deren Einfluss er gehandelt haben soll. Waren das vielleicht dieselben Leute, die jene Nachrichten erst produzieren, über die sie am liebsten berichten? Oder waren da noch ganz andere, möglicherweise geheimdienstliche Interessen im Spiel, von denen wir natürlich niemals etwas erfahren werden?“, fragt man sich in der Arbeitsgruppe Medienpolitik der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft zurzeit.
 haolam

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