Saturday, December 01, 2007

Thomas Kapielski: Auszüge aus Sozialmanierismus (I)

Wir hockten in einem gehobenen Berlin – Mitte – Imbiß und plötzlich gingen drüben in Kreuzberg Raketen hoch ! Die Türkei hatte in Bursa die deutsche Nationalmannschaft mit eins zu null besiegt.
Na gut ! Meine Tischdame unter den Arbeitsesserinnen hatte es mir besonders angetan. Ich bot mich an, sie mit der Droschke daheim abzusetzen; wir entschlossen uns dann aber beide angesoffen noch eine Rentnerkneipe zwischen SPD – Haus und Jüdischem Museumszickzack im westlichen Kreuzberg aufzusuchen.
Trotz Fußballniederlage eine köstliche Stimmung dort ! Mit Auffordern und Abklatschen betanzten ein paar Zahnlose aktuelle Schlager. Ein gutes Dutzend beladener Menschen war entschlossen zu feiern und seine Sozialhilfeschreie auf Morgen zu verschieben. Während ich beim Ententanz meiner Tischdame großspurig vom Auftritt in Baden – Baden erzählte, betraten ganz unerwartet drei junge Männer die Gaststätte und befahlen allen, sich auf den Boden zu legen. Man tat dies sofort wegen ihrer Masken und Revolver. Nun schlug einer von den dreien mit dem Brecheisen auf einen leider sehr störrischen Geldspielautomaten ein. Das steigerte den Zorn der drei. Der zweite Mann begann am anderen Ende der Kneipe Einzelbetreuungen vorzunehmen, indem er den Liegenden nach und nach und besonders intensiv auch der Wirtin seinen Adidas – Turnschuh in den Leib trat und einen jeden aufforderte: „Geld ! Oder isch leg eusch um !“ Der dritte Mann stand in der Mitte, hielt mit einem verchromten Riesenpüster alle übrigen in Schach und brüllte sehr hysterisch, weil er am wenigsten zu tun hatte und voller Ungeduld mitansah, wie der erste Mann weiter erfolglos auf diesen Spielautomaten einschlug. Dann kam ich an die Reihe. Der Einzelbetreuer trat einsatzfreudig auf mir herum und ich übergab ihm meine Fernsehgage, wofür er sich mit „ Scheiß deutsche Faschistenschwein !“ bedankte. Ich kroch zurück unter eine Bank, hatte gerade meine dritte Sterbeszene seit gestern überlebt und dachte: Mich kriegt irgendwie keiner tot !
Dann gab der Spielautomat nach, die Front flog auf, wobei Plastikschalen mit Geldstücken auf den Boden fielen. Meine Begleiterin wurde aufgefordert krauchend Münzen einzusammeln. Dabei trieb sie der Mann mit dem verchromten Revolver zur Eile an, indem er „Schnell, deutsche Nutte !“ und ihr in den Arsch tretend vielmals „Fotze !“ sprach.
Da lag man nun – gottlob angesoffen ! – unterm Tisch und schaute herzlos zu, wie drei miese Metöken die mir zugeteilte Tischdame entehrten. Unter den Stühlen klebte jede Menge Kaugummis, die man sonst nicht so bemerkte.
Und dann standen alle langsam wieder auf, setzten sich aber gleich wieder hin und saßen nun da, wie alle blöden Opfer hinterher immer dasitzen. Fassungslos und lächerlich.
Und dann kam man langsam in Rage, forderte Bewaffnung für Unbescholtene ( ich nur Bewaffnung für Unbescholtene mit Hochschulreife ) und Todesstrafe !
„Ich knall die ab !“ kreischte ein Gasttrinker arabischer Herkunft:
„ Die scheiß Kanaken !“
Sie hatten ihm einen Ring abgezogen, an dem irgendwie die Ehre der Familie klebte. Ich musste kichern. Meine Tischdame heulte vor Wut.
Dann traf ein hilflos umhertappendes Polizistenpärchen in Plusterkleidung aus „Goretex“ ein und füllte mit uns Fragebogen mit drei Durchschlägen aus. Das beruhigte alle ein wenig. Als ich eine Anzeige wegen Inländerfeindlichkeit machen mochte, bedauerten beide: So etwas gäbe es nicht.
Na gut, da gehen wir eben alle mal nach Hause ! Man soll auch nicht alles so ernst nehmen im Leben ! Höhö !
aus: Kapielski, Thomas ,Sozialmanierismus, Zweitausendeins, Frankfurt / M.
Writersblog von Thomas Kapielski.

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