Der israelische Politologe, Professor Schlomo Avinerei, einst auch Generalsekretär im Außenministerium, kennt die Politik sowohl als Forschungsobjekt wie auch von „innen“. In einer Analyse am Montag im israelischen Rundfunk hat er den vermeintlichen Widerspruch von Moral und Interessen in der Politik erklärt.
Jede Außenpolitik eines Landes werde von Interessen gelenkt. Doch spiele da fast immer auch eine moralische, ideologische oder andere „Sympathie“ hinein. So hätten kommunistische Regime zusammengehalten. Diktatoren hätten sich gegenseitig unterstützt und demokratische Regierungen kooperierten. Nebenbei merkte Avineri an, dass die amerikanische Unterstützung für Israel auch damit zusammenhänge, dass es die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten sei. Gleichwohl hätten die USA in der Region auch ganz andere Interessen zum Nachteil Israels.
Diplomatische Formeln
Das Zögern des Westens wegen des Giftgaseinsatzes in Syrien liege an der Notwendigkeit, Rücksichten auf die Russen abzuwägen oder unvorhersehbare Folgen eines Militärschlags zu verhindern.Avineri zählte dazu typische Phänomene auf. Bei genauem Hinschauen habe US- Präsident Barack Obama beim Verkünden seiner „Roten Linie“ vor genau einem Jahr von einem „massiven“ Einsatz von Giftgas gesprochen. Und jetzt, nach der Forderung, seine Ankündigung in Taten zu umzusetzen, müsse „geprüft“ werden, ob chemische Waffen „in großem Ausmaß“ (on a large scale) verwendet worden seien. Ebenso will Obama die amerikanischen „Kern-Interessen“ ergründen. „Wir müssen alles strategisch überdenken im Rahmen unserer langfristigen nationalen Interessen, selbst wenn wir international kooperieren, um Druck auf jene zu verüben, die unschuldige Zivilisten töten könnten“, sagte der US-Präsident im Interview gegenüber CNN. Mit diesen diplomatischen Formeln hat sich Obama einen breiten Freiraum für Interpretationen und sogar für Nichtstun belassen.
Zu den langfristigen Interessen der USA gehören laut Avineri neben den selber definierten moralischen Werten auch die Rolle als einzige verbliebene Supermacht in der Welt, mitsamt der Verpflichtung, ein globales Chaos zu verhindern. Das wiederum könnte verheerende Auswirkungen auf die weltweite Wirtschaft haben und zu mörderischen Kriegen führen.
Durch Nichtstun im Falle Syriens drohe den Amerikanern ein weiterer Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Damit schwindet freilich nicht nur in der arabischen Welt das Vertrauen in die USA als verlässlicher Verbündeter in Notzeiten. Auch andere von den Amerikanern militärisch abhängige Staaten wie Japan oder Südkorea dürften das Verhalten Washingtons sehr genau verfolgen.
Europäische Uneinigkeit
Avineri erwähnte hierzu auch die klassische Schwäche der Europäer. Widersprüchliche Aussagen der Briten und Franzosen zeugten von der Unfähigkeit Europas, an einem Strang zu ziehen. Das sei während des Kosovo-Krieges besonders deutlich geworden. Deutschland habe seine eigenen Probleme mit der „Vergangenheit“ und eine „schlechte Erfahrung“ mit „Gewalt“ gemacht. Deshalb beeile sich der deutsche Außenminister stets mit verbaler „Empörung“ und „Verurteilungen“ und rede von „Konsequenzen“, „Entschlossenheit“ und „Besonnenheit“ – was immer diese Worte praktisch bedeuten. Ansonsten aber vermeide Deutschland tunlichst eine Beteiligung an militärischen Aktionen zur Beendigung von Massakern oder Verstößen gegen das Völkerrecht.
Von Ulrich W. Sahm / INN
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