Thursday, August 08, 2013

Kommentar: „Stuttgarter Zeitung“ weist Antisemitismusvorwürfe zurück

Die „Stuttgarter Zeitung“ hat eine „Erklärung“ zur Karikatur des Zeichners Rolf Henn („Luff“) vom 5. August veröffentlicht. Sie habe dem Blatt den „Vorwurf des Antisemitismus eingetragen. Diesen Vorwurf weisen wir entschieden zurück“, heißt es darin. „Wir bedauern jedoch, dass durch die Verbindung von Text und Bild der Eindruck entstehen konnte, die StZ und ihr Karikaturist Luff benutzten antisemitische Stereotype.” Damit ist die Welt wieder in Ordnung. Die „Stuttgarter Zeitung“ (StZ) und ihr Karikaturist halten sich an eine gute alte Tradition. Martin Walser, Günther Grass, Jakob Augstein und andere haben ebenso Antisemitismus-Vorwürfe zurückgewiesen. “Wer Antisemit ist, das bestimme ich”, hat mal jemand gesagt…
Brunnenvergifter, Dolchstoßlegenden, Kindermörder, Auge um Auge und biblische Rache sind alles keine Stereotype, sondern offenbar „Wahrheiten“, wie die „jüdische Weltverschwörung“ und vieles mehr. Wenn das alles „nicht der Haltung der Stuttgarter Zeitung“ entspricht, muss man sich fragen, wieso sie dann auf die Idee kommt, den Regierungschef des jüdischen Staates ausgerechnet als „Vergifter“ der Friedenstaube darzustellen und das mit dem stereotypen Klischee des „Siedlungsbaus“.
Noch entlarvender ist die Reaktion des Zeichners Rolf Henn: „Mit großer Betroffenheit nehme ich die zum Teil heftigen negativen Reaktionen auf meine Netanjahu-Karikatur zur Kenntnis. Unter anderem wird mir antisemitische und faschistische Gesinnung vorgeworfen. Dieses empfinde ich als grobe Beleidigung und weise es entschieden zurück.“ Nein. Dem Herrn Henn wird keine „antisemitische und faschistische Gesinnung vorgeworfen“, was ihn zu allem Überdruss auch noch „beleidigt“. Ihm wird vorgeworfen, eine Karikatur mit antisemitischen und anti-israelischen Motiven gefertigt zu haben und als Bildunterschrift das Zitat eines Holocaustüberlebenden ausgewählt zu haben. Jeder macht Fehler, aus Dummheit, Unwissen und manchmal auch aus Böswilligkeit. Anstatt einen peinlichen Fehltritt einzugestehen, setzen die Redaktion der StZ und ihr Karikaturist noch eins drauf.
„Nicht bedacht“ habe Henn nach eigener Angabe, „Netanjahu und Kreisler über eine Art jüdisch-friedensfeindlichen Kamm (zu) scheren“. Wenn ihm inzwischen aufgrund der Kritiken diese Erkenntnis gekommen ist, warum kann er dann nicht einfach den Fehler eingestehen und sich förmlich dafür entschuldigen? Aber nein, er muss hinzufügen, dass Netanjahu tatsächlich Gift für das Streben nach einer friedlichen Lösung ausstreue, um die „Friedenstaube“ umzubringen.
Über den Sinn oder Unsinn des Siedlungsbaus kann man streiten, genauso über Terror, die Ehrung von Selbstmordattentätern, antisemitische Hetze des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und vieles mehr. Das alles ist kein „Gift“. Henn wäre wohl kaum auf die Idee gekommen, Abbas auf der Bank sitzend zu zeichnen, ebenfalls mit einer Flasche Gift. Denn das hier adoptierte uralte Motiv des Brunnenvergifters passt besser zu einem Juden als zu einem Moslem, Araber oder gar Palästinenser.
Kein Deutscher mag als „Antisemit“ entlarvt oder kritisiert werden. Die übliche Mechanik, sich dagegen zu wehren, macht es meistens noch schlimmer, wenn man ein Bekenntnis „ohne Wenn und Aber zum Existenzrecht Israels“ für nötig hält. Henn hätte genauso gut ein Bekenntnis zum Lebensrecht „jüdischer Menschen“ abgeben können. Vor Jahrzehnten war das in Deutschland keine Selbstverständlichkeit.
Er macht alles noch schlimmer, indem er befürchtet, mit seiner unbedachten Karikatur allein die „Gefühle jüdischer Menschen“ verletzt zu haben. Verletzt hat er die Gefühle aller „arischen“ deutschen Menschen, die nach 1945 dem Antisemitismus und faschistischem Gedankengut eine Absage erteilt haben. Von Blindheit geschlagen hat die StZ nicht einmal kapiert, dass sie gegen die wichtigsten deutschen Werte seit dem Ende des Holocaust verstoßen hat.
Wer eine so dünne Haut hat und „beleidigt“ ist, wenn ihm Antisemitismus oder Faschismus vorgeworfen werden, könnte sich kundig machen, die Geschichte des Antisemitismus und seiner Stereotypen studieren und dann deren Verwendung unterlassen. Wer das jedoch nicht „bedenkt“, ist selber schuld und sollte wenigstens den Mut haben, ohne „Wenn oder Aber“ seinen Fehler eingestehen, anstatt es im Nachhinein noch als politischen Standpunkt zu rechtfertigen.
Von Ulrich W. Sahm / INN

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