Thursday, August 08, 2013

Zensur bei der „Stuttgarter Zeitung“

Die „Stuttgarter Zeitung“ ist weltweit in die Schlagzeilen geraten, nachdem sie am 5. August auf ihrer Titelseite eine Karikatur von „Luff“ veröffentlicht hat: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vergiftet eine Friedenstaube mit einem Gift namens „Siedlungsbau“. Mittlerweile ist die Karikatur von der Internetseite der Zeitung verschwunden. Das Blatt selbst wies den Vorwurf des Antisemitismus zurück.
Auf einer „Fotostrecke“ präsentierte die „Stuttgarter Zeitung“ auf ihrer Homepage mehr als 440 Karikaturen, darunter auch die fragliche Zeichnung mit Netanjahu als Vergifter des Friedens. Am Dienstagmittag war es noch möglich, die Seite mit der umstrittenen Karikatur aufzurufen. Inzwischen ist die Seite spurlos verschwunden und nicht mehr aufrufbar. In der Reihe der Karikaturen fehlt der 5. August.
Ein Leser wandte sich per E-Mail an die „Stuttgarter Zeitung“ und schrieb:
„Ihre Karikatur des Tages (5.8.) zu Israel macht mich fassungslos. Und nicht nur mich ... . In Weinheim halten sich z. Zt. auf eigene Initiative ca. 10 Jugendliche aus Israel auf. Sie sind (wieder) nach Deutschland gekommen, weil sie dieses Land einmal als offen für Israelis und Juden erlebt haben. Nun hat einer diese mit vielen antisemitischen Symbolen versehene Karrikatur entdeckt – was soll ich ihm, was soll ich seinen Landsleuten nun sagen, Deutschland wird zunehmend auch antisemitisch. Alle sind erschüttert, dass eine bislang als seriös geltende Zeitung neonazistische Tendenzen offen zeigt. Was Sie mit dieser Karikatur anrichten, ist schlimmer als alles, was ich in diesem Land bisher gehört und gelesen habe.
Wenn Sie noch ein wenig Verantwortung für unsere Vernichtungsgeschichte gegen die Juden verspüren, veröffentlichen Sie eine Entschuldigung der Redaktion, die ich dann auch den Jugendlichen zeigen kann. Das muss auch der deutsche Presserat erfahren! Ich bin/wir sind auf Ihre Reaktion gespannt. A.L.“
Joachim Volk, Chef vom Dienst bei der „Stuttgarter Zeitung“, erklärte daraufhin: „Unsere Karikatur am 5. August befasste sich mit dem Thema Solidaritätszuschlag. Es muss sich um eine Verwechslung handeln.“
Benjamin Weinthal von der Tageszeitung „Jerusalem Post“ hat unterdessen mit Michael Maurer, dem stellvertretenden Chefredakteur der „Stuttgarter Zeitung“, gesprochen. Im Gegensatz zum Chef von Dienst hat Maurer die Veröffentlichung der Karikatur nicht dementiert oder als „Verwechslung“ bezeichnet. Maurer hat aber „Antisemitismus-Vorwürfe“ zurückgewiesen. Die Zeitung bedauert, „Gefühle verletzt zu haben“. Maurer versprach, dass die Karikatur „nicht wieder“ veröffentlicht werde, was vielleicht eine Erklärung für das spurlose Verschwinden auf der Homepage sein könnte. Maurer bestätigte, einen Brief der israelischen Botschaft empfangen zu haben. Doch die Botschaft in Berlin habe der Zeitung nur die Verwendung von „Stereotypen“ vorgeworfen, nicht jedoch Antisemitismus. Der Brief der Botschaft sei „moderat, vernünftig und verständlich“ gewesen. Maurer erklärte freilich nicht, welche „Stereotypen“ die Botschaft gemeint haben könnte.
Auf Anfrage erklärte ein Sprecher der Botschaft in Berlin, dass nur der Versand des Briefes bestätigt, nicht aber sein Inhalt weitergegeben werden könne.

Kreislers Tochter protestiert

Sandra Kreisler, die Tochter von Georg Kreisler, verwahrte sich unterdessen gegen die Verwendung eines Zitats ihres Vaters in der „Luff“-Zeichnung. Sie schrieb an die Zeitung: „Bezüglich Ihrer Karikatur möchte ich hiermit aufs Schärfste protestieren! Wie kann man nur eine Zeichnung veröffentlichen, die den Namen und die Arbeit meines Vaters in Zusammenhang mit einer Meinung stellt, die erstens deutlich nicht die seine war, zweitens keinerlei Verbindung mit dem zitierten Lied hat und drittens rein inhaltlich ebenso antisemitisch wie falsch ist. Ich erwarte eine Klarstellung dergestalt, dass Georg Kreisler niemals eine derartige Meinung geäußert hat, und eine öffentliche Entschuldigung des Karikaturisten. Es ist eine Schande, derart auf dem Grabe meines Vaters zu tanzen. Israel tut seit Jahren nichts anderes, als ein Angebot nach dem anderen für eine friedliche Lösung bereitzustellen. Wenn aber die EU dem Millionär Abbas immer weitere Millionen in Aussicht stellt, solange der Konflikt nicht gelöst wird, und zugleich die arabischen Länder keinerlei Interesse an einer Lösung des Konflikts haben (also weder Geld für ihre ‚Palästinensischen Brüder‘ noch irgendeine andere Hilfe für friedliche Lösungen bereitstellen – sehr wohl aber den Konflikt zur Ablenkung von ihren innenpolitischen Fehlern verwenden), dann ist es klar erkenntlich, wer kein Interesse daran hat, den Konflikt zu lösen.“

„Luff“: „Anschuldigungen entbehren jeder Grundlage“

Mittlerweile reagierte der Karikaturist Rolf Henn („Luff“) auf die massive Kritik: „Mit großer Betroffenheit nehme ich die zum Teil heftigen negativen Reaktionen auf meine Netanjahu-Karikatur zur Kenntnis. Unter anderem wird mir antisemitische und faschistische Gesinnung vorgeworfen. Dieses empfinde ich als grobe Beleidigung und weise es entschieden zurück. Wer mich und meine Arbeit kennt, weiß, dass solche Anschuldigungen jeder Grundlage entbehren. Was mich besonders betroffen macht, ist, dass ich als großer Georg-Kreisler-Fan mich dem Vorwurf gegenüber sehe, ihn postum herabzuwürdigen und sein Andenken in den Schmutz zu ziehen. Kaum etwas liegt mir ferner. Ich bekenne mich ohne Wenn und Aber zum Existenzrecht Israels und hege großen Respekt vor dem Mut und den Leistungen der Menschen dort.
Der Gedankengang bei der Entstehung der Karikatur war aber folgender: Kurz nach den ersten Gesprächen israelischer und palästinensischer Unterhändler in Washington erklärt die israelische Regierung, den Siedlungsbau im Westjordanland intensivieren zu wollen. Das ist Gift für das Streben nach einer friedlichen Lösung, also Gift für die (potenzielle) Friedenstaube, und da fiel mir ganz einfach dieser Text von Georg Kreisler ein. Dass der Eindruck entstehen könnte, ich würde Netanjahu und Kreisler über eine Art jüdisch-friedensfeindlichen Kamm scheren wollen, habe ich nicht bedacht. Sollte ich die Gefühle jüdischer Menschen, insbesondere Angehöriger der Familie Georg Kreislers, verletzt haben, tut mir das von Herzen Leid. Es war nicht meine Absicht.“

Von Ulrich W. Sahm / INN

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